Urbi et Orbi
Verfehlungen aus der Kirche ausgeschieden? Wie viele gute Männer hielten sich bis zu ihrem Tod für Gefallene?
Er wollte sich gerade an der Touristengruppe vorbeischieben, als etwas, was die Führerin sagte, seine Aufmerksamkeit erregte.
»… die Stadt der sieben Hügel. «
Er verharrte stocksteif.
»So nannte man Bamberg früher. Wegen der sieben Hügel, die sich hier aus dem Flusstal erheben. Das lässt sich zwar heute nur noch schwer erkennen, aber es sind sieben getrennte Hügel, von denen jeder in früheren Jahrhunderten Standort eines Fürsten- oder Bischofsitzes oder einer Kirche wurde. In der Regierungszeit Kaiser Heinrichs II . als Bamberg die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs war, brachte diese Analogie das weltliche Herrschaftszentrum dem religiösen Zentrum Rom näher, das ebenfalls als Stadt der sieben Hügel bezeichnet wurde. «
Bei ihrer letzten Heimsuchung wird die Heilige Katholische Kirche von Petrus Romanus regiert werden, der seine Herde in großer Drangsal weiden wird, und danach wird in der Stadt der Sieben Hügel der schreckliche Richter alle Menschen richten. So lautete die angebliche Prophezeiung des Malachius aus dem elften Jahrhundert. Michener war davon ausgegangen, dass mit der Stadt der sieben Hügel Rom gemeint war. Er hatte nicht gewusst, dass Bamberg auch so genannt worden war.
Er schloss die Augen und betete ein weiteres Mal. War dies eine wichtige Erkenntnis? Spielte es bei dem, was nun geschehen würde, eine entscheidende Rolle?
Angestrengt blickte er zur Bogenlaibung des Trichterportals hinauf. Das hell angestrahlte Bogenfeld stellte Jesus beim Jüngsten Gericht dar. Maria und Johannes zu Jesu Füßen waren Fürsprecher der aus ihren Särgen steigenden Seelen. Die Erretteten schritten hinter Maria auf den Himmel zu, während die Verdammten von einem grinsenden Teufel in di e H ölle gezerrt wurden. Endeten zweitausend Jahre christlicher Arroganz nun in dieser Nacht und an diesem Ort, den ein heilig gesprochener irischer Priester vor tausend Jahren vorhergesagt hatte?
Michener sog die eiskalte Luft ein, nahm allen Mut zusammen und schob sich zur Kirche durch. Drinnen waren die Sandsteinwände des Kirchenschiffs von sanftem Licht überg oss en. Er sah das Rippengewölbe, die mächtigen Säulen, die Statuen und die Spitzbogenfenster. Die Kirche hatte zwei Chöre, von denen einer mit prächtigem gotischem Chorgestühl ausgestattet war. In dem anderen stand ein Altar. Hinter dem Altar lag das Grab Clemens ’ II . Volkners Namenspatron und der einzige Papst, der je auf deutschem Boden bestattet worden war.
Michener blieb vor dem Weihwasserbecken stehen und tauchte die Finger ein. Er bekreuzigte sich und betete um Beistand. Eine leise Orgelmelodie war zu hören.
Er sah sich unter den Besuchern um, die die langen Kirchenbänke füllten. Messdiener machten sich hier und da im Chorraum zu schaffen. Links vorn, etwas erhöht, stand Katerina vor einer mächtigen Steinbalustrade. An ihrer Seite erblickte er Ambrosi, der denselben dunklen Mantel und Schal trug wie zuvor. Links und rechts einer Schranke führte eine Treppe zum Chor hinauf, auf der zahlreiche Besucher standen. Zwischen den beiden Treppen lag das Kaisergrab. Clemens hatte es erwähnt – auf dem Sarkophag von Riemenschneider waren Kaiser Heinrich II. und seine Frau dargestellt, deren Gebeine seit einem halben Jahrhundert darin ruhten.
Michener wusste, dass Ambrosi eine Pistole dabei hatte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er hier in der Kirche schießen würde. Er fragte sich, ob Ambrosi in der Menschenmenge noch Helfer hatte. Michener stand ganz still, während die Leute an ihm vorbei in die Kirche strömten.
Ambrosi winkte ihn heran.
Michener rührte sich nicht.
Ambrosi winkte erneut.
Michener schüttelte den Kopf.
Ambrosis Blick wurde hart.
Michener nahm den Umschlag aus der Manteltasche und hielt ihn so, dass sein Feind ihn sehen konnte. Der Ausdruck im Gesicht des päpstlichen Privatsekretärs ließ erkennen, dass er den Umschlag, der im Restaurant so unschuldig auf dem Tisch gelegen hatte, wiedererkannte.
Noch einmal schüttelte Michener den Kopf.
Dann fiel ihm ein, dass Katerina ihm erzählt hatte, Ambrosi habe ihre Lippen gelesen, als sie Michener auf dem Petersplatz beschimpfte.
Ich scheiß auf dich, Ambrosi , flüsterte er mit deutlichen Lippenbewegungen.
Er sah, dass der Priester ihn verstanden hatte.
Michener steckte den Umschlag wieder ein und ging zum Ausgang, inständig
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