Urbi et Orbi
dieser hierher einbestellt hatte. Der Erzbischof von Turin hatte auf einem Gespräch bestanden. Valendrea wusste, worum es ihm ging. Bartolo war das Amt des Staatssekretärs versprochen worden, und nun wollte der Kardinal offensichtlich auf die Einhaltung des Versprechens pochen. Ambrosi hatte Bartolo dieses Versprechen gegeben, aber er hatte Valendrea auch den Rat erteilt, die tatsächliche Entscheidung so lange wie möglich hinauszuzögern. Schließlich war Bartolo nicht der Einzige, dem Ambrosi dieses Amt zugesagt hatte. Den Verlierern musste er irgendeinen Ersatz anbieten, um Streit zu verhindern – irgendwelche Positionen, für die es sich lohnte, die Enttäuschung zu überwinden und auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten. Dem einen oder anderen konnte man gewiss einen attraktiven Posten anbieten, aber Valendrea wusste natürlich, dass das Staatssekretariat für hochrangige Kardinäle ein besonders begehrter Posten war.
Bartolo stand neben dem Pasetto di Borgo. Dieser mittelalterliche Gang führte durch die Vatikanmauer in die nahe gelegene Engelsburg, eine Festung, in der die Päpste früher in bedrohlichen Situationen Schutz gesucht hatten.
»Eminenz«, grüßte Valendrea beim Näherkommen.
Bartolo neigte das bärtige Gesicht. »Heiliger Vater.« Der Ältere lächelte. »Sie hören diese Anrede gerne, nicht wahr, Alberto?«
»Sie klingt gut.«
»Sie sind mir aus dem Weg gegangen.«
Der Papst tat diese Beobachtung ab. »Ganz und gar nicht.«
»Ach, kommen Sie, dafür kenne ich Sie zu gut. Ich bin nicht der einzige Kardinal, dem das Staatssekretariat angeboten wurde.«
»Die Stimmen fallen einem nun mal nicht in den Schoß. Man tut, was man kann.« Er bemühte sich um einen scherzhaften Ton, doch es war ihm klar, dass Bartolo keineswegs naiv war.
»Mindestens ein Dutzend Ihrer Stimmen haben Sie mir zu verdanken.«
»Aber ich habe sie nicht gebraucht.«
Bartolos Gesicht wurde hart. »Nur weil Ngovi den Rückzug angetreten hat. Wäre der Kampf weitergegangen, hätten diese zwölf Stimmen sich vermutlich als entscheidend erwiesen.«
Die Stimme des alten Mannes kippte, und er hörte sich kraftlos und flehend an. Valendrea beschloss, Klartext zu reden. »Gustavo, Sie sind zu alt. Der Staatssekretär hat ein sehr anstrengendes Amt, und er ist ständig auf Reisen.«
Bartolo starrte ihn wütend an. Dieser Verbündete würde sich nur schwer beschwichtigen lassen. Der Kardinal hatte Valendrea tatsächlich einige Stimmen eingebracht, wie abgehörte Gespräche zweifelsfrei ergaben, und er war von Anfang an Valendreas Favorit gewesen. Aber Bartolo genoss allgemein wenig Achtung. Er war nicht sonderlich gebildet und hatte keinerlei diplomatische Erfahrung. Valendrea würd e s ich keine Freunde damit machen, wenn er Bartolo mit einem Amt betraute, und schon gar nicht einem so entscheidenden wie dem des Staatssekretärs. Es gab noch drei weitere Kandidaten, die ebenso hart für Valendrea gearbeitet hatten, darüber hinaus aber noch einen vorbildlichen Hintergrund aufwiesen und im Kardinalskollegium über wesentlich mehr Rückhalt verfügten. Doch Bartolo hatte etwas zu bieten, was seine Konkurrenten Valendrea verwehren würden. Unbedingten Gehorsam. Und der war durchaus nicht zu verachten.
»Gustavo, falls ich erwägen sollte, Sie zu ernennen, müssten Sie einige Bedingungen erfüllen.« Er wollte einmal vorfühlen, auf wie viel Bereitwilligkeit er stieß.
»Ich höre.«
»Ich werde mir die Entscheidungskompetenz für auswärtige Belange vorbehalten. Entscheidungen werde ich treffen und nicht Sie. Sie würden meine Vorgaben eins zu eins umsetzen müssen.«
»Sie sind der Papst.«
Die Antwort kam ohne Zögern.
»Ich würde weder Widerspruch noch eigenwillige Vorstöße dulden.«
»Alberto, ich stehe jetzt seit beinahe fünfzig Jahren im Dienst der Kirche und habe bisher jedem Papst gehorcht. Ich habe sogar auf Knien Jakob Volkners Ring geküsst, obwohl ich diesen Mann verachte. Wie können Sie da meine Loyalität in Frage stellen?«
Valendrea gestattete sich ein Lächeln. »Ich stelle gar nichts in Frage. Ich will nur, dass Sie die Regeln kennen.«
Er ging ein Stück den Pfad entlang, und Bartolo folgte ihm. Valendrea zeigte nach oben und sagte: »Durch diesen Gang dort sind früher einige Päpste aus dem Vatikan geflohen. Si e h aben sich versteckt wie Kinder, die sich im Dunkeln fürchten. Diese Vorstellung ist mir zutiefst zuwider.«
»Heutzutage fallen keine Armeen mehr in den Vatikan
Weitere Kostenlose Bücher