Urbi et Orbi
selbst an den Fortsetzungen der Verhandlungen beteiligt gewesen. Letzthin hatte die zentralistische Regierung kleinere Zugeständnisse gemacht. Im Land lebten knapp zwei Millionen katholische Christen gegenüber zweiundzwanzig Millionen Orthodoxen, doch allmählich verschaffte die Minderheit sich Gehör. Clemens hatte seinen Besuchswunsch angemeldet, aber die Gespräche über einen Papstbesuch wurden durch den Eigentumsstreit behindert.
Die ganze Angelegenheit gehörte zu jenen komplizierten politischen Balanceakten, die Micheners Zeit ausfüllten. Eigentlich war er gar kein Priester mehr. Er war Regierungsminister, Diplomat und persönlicher Vertrauter – und all das würde mit Clemens ’ letztem Atemzug enden. Danach würde er vielleicht ins Priesteramt zurückkehren. Er hatte niemals einer Gemeinde gedient. Missionsarbeit würde er als Herausforderung betrachten. Kardinal Ngovi hatte sich mit ihm über Kenia unterhalten. Afrika mochte einem ehemaligen päpstlichen Privatsekretär eine ausgezeichnete Zuflucht bieten, insbesondere, wenn Clemens starb, ohne ihn vorher zum Kardinal zu ernennen.
Er schob die Gedanken an seine ungewisse Zukunft beiseite und ging zum Terminal. Das Gebäude war seit dem letzten Mal in die Höhe gewachsen. Der Tag war düster und kalt. Acht Grad hatte der Pilot kurz vor der Landung angesagt. Der Himmel war von dicken, tief hängenden Wolken bedeckt, die den Sonnenstrahlen nicht die kleinste Chance gaben.
Zielstrebig betrat er den Terminal und ging zur Passkontrolle. Er hatte nur für zwei Tage gepackt und sich gemäß Clemens ’ Bitte unauffällig gekleidet. Jeans, Pullover und Jackett.
Mit seinem vom Vatikan ausgestellten Reisepass war er von der sonst üblichen Visumsgebühr befreit. Am Flughafen konnte er mit Euro zahlen, mietete gleich nach der Grenzkontrolle einen zerbeulten Ford Fiesta und ließ sich von eine m d er Angestellten den Weg nach Zlatna beschreiben. Immerhin konnte er so viel Rumänisch, dass er die Anweisungen des Rothaarigen halbwegs verstand.
Die Aussicht, allein in einem der ärmsten Länder Europas herumzukurven, machte ihn nicht gerade glücklich. Gestern Abend hatte er recherchiert und war auf mehrere offizielle Stellen gestoßen, die vor Dieben und Überfällen warnten, insbesondere nachts und auf dem Land. Er hätte gerne den päpstlichen Nuntius in Bukarest um Unterstützung gebeten. Einer von dessen Leuten hätte ihm als Fahrer und Führer dienen können, doch das hatte Clemens nicht zugelassen. Daher stieg er in den Mietwagen, verließ den Flughafen und fand schließlich die Autobahn Richtung Nordwesten nach Zlatna.
K aterina stand am Rand des zentralen Platzes in Zlatna. Die Pflastersteine waren uneben, viele fehlten, und noch mehr waren halb zerbröckelt. Die Leute hasteten hin und her. Sie hatten wichtigere Sorgen: Essen, Heizmaterial und Wasser. Ein kaputtes Straßenpflaster war wirklich ihr kleinstes Problem.
Vor zwei Stunden war Katerina in Zlatna eingetroffen, und sie hatte die erste Stunde dazu genutzt, sich über Andrej Tibor zu informieren. Dabei ging sie vorsichtig vor, denn die Rumänen waren, gelinde gesagt, ein neugieriges Volk. Nach Valendreas Informationen sollte Michener kurz nach 11 Uhr gelandet sein. Für die Strecke von Bukarest würde er gu t zwei Stunden brauchen. Ihre Uhr zeigte 13.20 Uhr. Wenn sein Flug pünktlich gewesen war, sollte er also bald eintreffen.
Es war ein merkwürdiges und doch tröstliches Gefühl, wieder in ihrer Heimat zu sein. Sie war in Bukarest geboren und aufgewachsen, hatte aber einen großen Teil ihrer Kindheit auf der anderen Seite der Karpaten in Transsilvanien verbracht. Diese Region war für sie nicht das Land der Vampire und Werwölfe – die gab es nur in Romanen. Sie nannte die Gegend auch Erdély oder Siebenbürgen, und dort gab es tiefe Wälder, Burgen und herzliche Leute. Die ungarische und die deutsche Kultur prägten das Zusammenleben der Menschen, darüber hinaus gab es die Einflüsse der Roma-Kultur. Katerinas Vater war ein Nachkomme sächsischer Einwanderer, die dort im zwölften Jahrhundert angesiedelt worden waren, um die Gebirgspässe gegen Tartareneinfälle zu schützen. Der Volksstamm hatte Jahrhunderte von Despoten und rumänischen Monarchen überstanden, war dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kommunisten vernichtet und vertrieben worden.
Die Eltern ihrer Mutter waren Roma, und mit dieser Minderheit sprangen die Kommunisten alles andere als sanft um. Sie wurde
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