Urbi et Orbi
persönlich sprechen. Die Führerin zeigte auf ein Besucherzentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Dort kann man eine Begegnung für Sie arrangieren. Normalerweise finden diese Zusammenkünfte am späten Nachmittag statt. Reden Sie mit den Leuten über Jasna, um mehr zu erfahren. Man wird dort einfühlsam auf Ihre Wünsche eingehen.«
Michener bedankte sich und ging dann mit Katerina weg. »Wir müssen irgendwo anfangen, und diese Jasna bietet sich am ehesten an. Ich möchte aber nicht in Gegenwart einer Gruppe mit ihr sprechen, und ich brauche auch niemanden, der einfühlsam auf meine Wünsche eingeht. Los, gehen wir und suchen die Frau auf eigene Faust.«
39
Vatikanstadt, 14.00 Uhr
I n langer Prozession wandelten die Kardinäle aus der Pauluskapelle, wobei sie die Refrains von Vera Creator Spiritus sangen. Sie hatten die Hände zum Gebet gefaltet und die Köpfe gesenkt. Valendrea ging unmittelbar hinter Maurice Ngovi, der die Gruppe zur Sixtinischen Kapelle führte.
Alles war bereit. Eine der letzten Aufgaben war vor einer Stunde noch unter Valendreas Aufsicht erledigt worden: Die Hofschneiderei Gammarelli war mit fünf Kartons voller weißer Leinensoutanen, roter Seidenschuhe, Rochetts, Mozzettas, Baumwollstrümpfen und Schädelkappen unterschiedlicher Größen im Vatikan eingetroffen. Die Rücken waren noch nicht zusammengenäht, die Säume noch offen, die Ärmel unfertig. Alle Änderungen würde Gammarelli persönlich vornehmen, unmittelbar vor dem ersten Auftritt des neugewählten Papstes auf dem Balkon des Petersdoms.
Unter dem Vorwand, alles zu inspizieren, hatte Valendrea dafür gesorgt, dass eine für ihn passende Garnitur dabei war – Kleidergröße 42 bis 44 um die Brust und 38 in der Taille, Schuhgröße 43 –, die mit wenigen Änderungen sitzen würde. Danach würde er Gammarelli ein Sortiment traditioneller weißer Leinengarnituren in Auftrag geben und außerdem ein paar neue Entwürfe, über die er in den letzten Jahren nachgedacht hatte. Er hatte vor, einer der bestgekleideten Päpste der Geschichte zu werden.
Hundertdreizehn Kardinäle hatten die Reise nach Rom unternommen. Jeder dieser Männer trug eine purpurrote Soutane und hatte eine Mozzetta über die Schultern gelegt. Sie trugen rote Biretts und goldene oder silberne Pektoralkreuze. Als sie sich in einer langen Reihe langsam auf ein hohes Tor zubewegten, fingen Fernsehkameras die Szene für Milliarden Zuschauer auf der ganzen Welt ein. Valendrea bemerkte, wie ernst die Kardinäle aussahen. Vielleicht hatten sie sich Ngovis Predigt bei der vorangegangenen Messe zu Herzen genommen, als der Camerlengo sie aufgefordert hatte, sich beim Eintritt in die Sixtinische Kapelle von allen weltlichen Erwägungen freizumachen und mit Hilfe des Heiligen Geistes einen fähigen Hirten für die Mutter Kirche zu wählen.
Dieses Wort Hirte – pastor – stellte ein Problem dar. Selten waren die Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts pastoral gewesen. Die meisten waren Karriereintellektuelle oder Diplomaten des Vatikans. In den letzten Tagen hatte man die pastorale Erfahrung in der Presse als ein Kriterium diskutiert, das dem Heiligen Kardinalskollegium wichtig sein sollte. Mit Sicherheit war ein Kardinal, der jahrzehntelang als Hirte im Dienst der Gläubigen gewirkt hatte, für die Öffentlichkeit attraktiver als ein Verwaltungsfachmann. Valendrea hatte sogar den Abhörprotokollen entnommen, wie viele der Kardinäle sich Gedanken darüber machten, dass es ein Pluspunkt für einen Papst wäre, wenn er schon einmal einer Diözese vorgestanden hätte. Unglückseligerweise war Valendrea ein Produkt der Kurie, ein geborener Verwaltungsmann ohne pastorale Erfahrung – im Gegensatz zu Ngovi, der vom Priester i n d er Mission zum Erzbischof und dann zum Kardinal aufgestiegen war. Daher nahm er dem Camerlengo diese Formulierung übel und betrachtete sie als einen hinterhältigen Angriff auf seine Kandidatur – eine ganz subtile Stichelei, aber auch als einen weiteren Hinweis dafür, dass Ngovi sich in den nächsten Stunden als gefährlicher Gegner erweisen mochte.
Die Prozession kam vor der Sixtinischen Kapelle zum Stehen.
Aus dem Inneren schallte der Gesang eines Chors heraus.
Ngovi zögerte einen Moment lang und durchschritt dann die Flügeltür.
Auf Fotos erscheint die Sixtinische Kapelle als ein riesiger Raum, doch die Unterbringung von hundertdreizehn Kardinälen in ihrem Inneren war tatsächlich schwierig. Vor fünfhundert Jahren war
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