Urgum der Barbar
Himmel nieder.
»AUTSCH!«, brüllte Urgum hinter dem ersten Busch, als Percy, der Geier, seine Klauen tief in seinem Hintern versenkte. »Verschwinde hier, du dummer Vogel! Ich bin nicht tot, ich bewege mich nur langsam!«
Grizelda sprang hinter dem zweiten Busch hervor, um die letzten Schritte bis zu Molly zu laufen, aber es war zu spät. Der flinke Windler war schon aufgesprungen und hatte sich Molly unter den knochigen Arm geklemmt. Sie wand sich zwar und kratzte wie eine verbrannte Katze, aber sie konnte sich nicht befreien.
»Lass sie runter!«, schrie Urgum und wedelte mit der Axt, während er gleichzeitig versuchte, Percy von seiner Hose runterzuziehen.
»Komm doch und hol sie!« Der Windler lachte und war mit ein paar großen Hüpfern auf den Felsen, auf denen er weiterlief. Molly zappelte hilflos mit ihrer Schaufel in der Hand. Als Urgum zu ihrem Blumenbeet kam, waren sie schon außer Reichweite. Der Windler drehte sich um und hielt Molly über seinen Kopf.
»Kriegst mich nicht!«, rief er.
»Papa!«, brüllte Molly. »Sag ihm, dass ich jetzt sehr, sehr ärgerlich werde.«
»Sie wird jetzt sehr, sehr ärgerlich«, rief Urgum. »Und ich auch.«
»Immer mit der Ruhe, kleines Mädchen!«, sagte der Windler. »Offenbar muss ich dir noch eine Lektion erteilen.«
Mit größter Anstrengung schaffte es Molly, ihre Schaufel zu heben und sie dem Windler über den Kopf zu ziehen. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung ging der Windler langsam in die Knie und lockerte seinen Griff. Molly schlüpfte davon, als er auf sein Gesicht fiel.
»Geht es dir gut?«, keuchte Urgum, als er über die Felsen zu ihr lief. »Ich werde ihn mit meiner Axt in Stücke hacken.«
»Wer braucht eine Axt?« Molly grinste. »Meine Schaufel hat das schon erledigt. Ich hab ihm nur einen kleinen Klaps auf den Kopf gegeben und schau ihn dir an.«
Der Windler lag da und stöhnte, als Grizelda sich ihm mit ihrem Bogen in der Hand näherte.
»Zu spät, Grizelda!« Urgum lachte. »Du kannst deinen dummen Bogen wegstecken. Mollys Schaufel hat das schon erledigt.«
»Ach ja?«, fragte Grizelda und drehte den Windler um. Aus seinem Bauch ragte ein Pfeil mit orangen Federn. Der Windler winselte vor Schmerz, als Grizelda den Pfeil herauszog und das Blut an der zerfetzten Weste abwischte. »Das nächste Mal werde ich mir dann wohl besser gar nicht erst die Mühe machen.«
»Ach!«, sagte Molly enttäuscht. »Ich hab gedacht, ich hab ihn umgehauen.«
»Sagen wir einfach: wir beide«, sagte Grizelda. »Nur eines ist ganz sicher. Es war nicht Urgum mit seiner blöden, altmodischen Axt! Gib’s zu, Urgum, du warst zu langsam und zu weit weg. Bögen sind besser.«
Urgum sah sprachlos zu, als der Windler davonkroch, um seine Wunden zu pflegen. Er hasste es, das zugeben zu müssen, aber vielleicht hatte Grizelda recht. Immerhin hatte sie Molly gerettet und dafür sollte er ihr dankbar sein. Er versuchte sich gerade an einer »Du hast recht gehabt und ich unrecht und übrigens vielen Dank auch«-Rede, als ein zweiter Windler auftauchte und von einem Felsvorsprung hüpfte, um zwischen ihnen zu landen. Er war zwar genauso zerlumpt und dreckig wie der erste, aber seine Jacke war aus dunkelgrünem Fell. An den Ärmeln, die an den langen knochigen Armen des Windlers nur bis zu den Ellenbogen reichten, war es mit Goldfäden bestickt. Diese Jacke hatte einst einem Offizier der Palastwache von Laplace gehört und war für einen Windler eine höchst ruhmreiche Beute. Offensichtlich war das hier also der Oberwindler der Bande. Die Hauptkennzeichen eines Oberwindlers sind Grausamkeit und Berechnung. (Ach, und man muss ein Windler sein.)
»Wer hat meinen Bruder erschossen?«, knurrte der Oberwindler.
»Sie war’s«, sagte Urgum und deutete auf Grizelda.
Grizelda hob verteidigend ihren Bogen, aber der Oberwindler schob ihn beiseite und drückte sie mit einem Messer an ihrem Hals gegen einen Felsen. Er beugte sich zu ihr runter, bis sich ihre Nasen beinahe berührten. Grizelda konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass seine langen Zähne aussahen, als wären sie aus Käse gemacht.
»Dann warst du das also?« Er atmete ihr ins Gesicht. »Dafür wirst du sterben.«
»Pass auf, Windler.« Urgum kicherte. »Sie hat Pfeil und Bogen.«
Aber der Oberwindler lehnte fast mit seinem ganzen Gewicht gegen Grizelda, also hatte sie natürlich keine Möglichkeit, ihren Bogen zu spannen, und ganz bestimmt hatte sie keinen Platz, um einen Pfeil auf die Sehne zu
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