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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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Not groß, und was soll so ein junger Einwanderer oder suchender Söldner an einem Sonntagmorgen in der Hafenstadt? Er ergeht sich auf der Promenade, er führt die Augen spazieren, Sonnenschein und alle Zeit. Er bleibt bei einem Schwarzhändler stehen, weil ein nobler Herr, ein Signore, mit dem Händler in heftiges Feilschen verwickelt ist, offensichtlich möchte er die Ware des Schwarzhändlers erwerben, steckt aber in Zahlungsschwierigkeiten. Der junge Bummler und Landesfremde bleibt in einem gehörigen Abstand stehen und sieht zu, wie der würdige, über allen Verdacht erhabene wohlerzogene Herr parlamentiert, er hat schon ein Bündel Scheine in die Hand des Händlers gelegt, nun zieht er auf dessen verneinendes Kopfdrehen seine goldene Armbanduhr aus und legt sie zu den Scheinen. Immer noch keine Einigung. Das Gespräch erreicht die Hysterie der Verzweiflung. Offensichtlich kommen die Kontrahenten zu keinem befriedigenden Geschäftsabschluß. Der Noble dreht den Kopf in alle Richtungen, als könnte ihm aus der Luft geholfen werden. Da fällt sein Blick auf den jungen Fremden, der dem Handel aus geziemender Distanz neugierig zuschaut. Ihm wendet er sich zu. Er habe, vermeint der landesfremde Zuschauer zu verstehen, so gut wie die Summe beisammen, um den für ihn wichtigen Handel abzuschließen, aber leider eben nur fast genug, es fehle eine Kleinigkeit, und nun denke er oder besser erdreiste er sich in Erwägung zu ziehen, ob der junge Ausländer, denn um einen solchen handle es sich ja wohl, wenn er nicht irre, nicht die Großzügigkeit und die Mittel habe, ihm auszuhelfen, natürlich nicht geschenkweise, versteht sich, sondern als ganz kurzfristige Leihgabe, da er unmittelbar nach Geschäftsabschluß zusammen mit dem großzügigen Spender in die Wohnung seiner Schwester, die sich gleich da gegenüber, sehen Sie das hohe Haus, da wohne die Schwester, begeben werde, um sich das Sümmchen geben zu lassen. Sie werden mich begleiten und sicherheitshalber das Paket behändigen bis zur Rückerstattung, gehen wir; und sie überqueren die breite besonnte sonntagsvormittagsleere Straße und betreten den noblen Hauseingang und machen sich ans Treppensteigen, der noble Herr eine Stufe höher und der blutjunge Einwanderer, wie er sich jetzt innerlich betitelt, eine Stufe tiefer. Ihm ist von allem Anfang an mulmig bei der Transaktion, er wittert die Falle, ganz klar, doch ist die Neugierde heftiger. Und nun kommen sie vor einer schönen breiten Wohnungstür mit messingenem Namensschild an, und der noble ältere Herr, ein Advokat könnte er sein, so sieht er aus, klingelt und stößt die Tür auf und tritt ein, mit den Worten, es dauert nur einen kurzen Augenblick, behalten Sie inzwischen das Paket, gleich bin ich zurück; und tritt ein. Die Tür fällt zu, der Newcomer wartet und sieht sich um. Die Tür ist schön lackiert und bleibt geschlossen. Nur daß er sich nach einer Weile fragt, warum das Geldholen so lange dauert. Er wartet noch eine Weile, dann ermannt er sich und klingelt, und als sich niemand meldet auf das Klingeln und die Tür geschlossen bleibt, führt er die Hand zögernd an den Türgriff, und dann stößt er die Tür auf und – da ist keine Wohnung, die Tür öffnet sich auf den sonnigen Himmel und auf eine wacklige, im Leeren hängende und durch Eisenstreben gehaltene Treppe. Das Haus ist ein ausgebombtes Haus, ein Kadaver mit einer intakten Fassade, ein surrealistisches Bild, eine Attrappe oder besser Kulisse, Theaterkulisse, der Junge steht der vollkommenen Illusion gegenüber, handgreiflich. Und der noble Betrüger ist natürlich längst verschwunden. Er hat sich davongemacht.

    11. April 2009, Paris
     
    Neulich rief Hörning an, um mitzuteilen, daß Das Jahr der Liebe in Hamburger Gymnasien Schulstoff geworden sei, Bestellung beim Verlag von 4000 Exemplaren. Die norddeutschen Jugendlichen werden in Goldschmidts Herkunftsecke meine Pariser Landung lesen und studieren. Wenn das nicht ein munterer Akzident ist.

    15. April 2009, Paris
     
    Morgen PK Wehrli zu Rekognoszierungsgesprächen für den Fernsehfilm zu meinem Achtzigsten. Schon das Wort oder besser die Zahl ist schrecklich wie das Fallbeil eines Todesurteils. Lese Sven Hanuscheks Canetti-Biographie mit merkwürdig intensiver Beteiligung. Manches, das ich nicht wußte, mein Canetti-Bild wird jedoch kaum verändert bzw. betroffen, wenn auch bereichert.
    Beim Weiterlesen der dickleibigen Canetti-Biographie stelle ich fest, daß ich einesteils

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