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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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ausgespart bleibe als unerfülltes, jedoch heftig beranntes Programm, eine Utopie; es ist das Programm der Feindschaft und Kriegserklärung gegen den Tod, die Utopie einer Abschaffung des Todes oder eines ewigen Lebens. Vielleicht ist Canetti gerade mit diesem (kindisch klingenden und unverständlichen) Programm, das ja als eine Art untergründiger Strom das ganze Denken bespült und befruchtet und nicht nur begleitet, der große geniale Neuerer oder besser Stifter von der Größenordnung eines Freud (den er ja nicht mochte). Nun, er ist sowohl Dichter wie Forscher, Denker, Menschenkundler; vielleicht ist er wirklich eine Jahrhundertfigur von noch uneinschätzbarem Volumen – und natürlich nicht vergessen. Nicht überlebt. Die Stoßrichtung seines Suchens Forschens Denkens gebiert einen Leerraum von noch Unsagbarem wie eine große Beschwörung. Welch ein Leben, sowohl titanisch in der Arbeitshingabe und dem Reichtum der Materialien wie in der Buntheit Wildheit Zerstreuung und Lächerlichkeit der Vita und Lebensführung. Und bei aller Öffnung und Fragmenthaftigkeit – welch ein Gelingen, welch eine Erfüllung. Ich glaube, die Ehren, Preise, Kranzniederlegungen zu Lebzeiten sind ebenso reich und platzregenartig an ihn verschwendet wie sein Werk enigmatisch bleibt. Wofür hat man ihn denn wirklich ausgezeichnet? Um die Unbegreiflichkeit oder besser Uneinschätzbarkeit seiner gewaltigen Leistung und die eigene Verständnislosigkeit – diesen Leerraum auszufüllen. Nun, er war meine größte Begegnung zu Lebzeiten.

    26. April 2009, Paris
     
    Lese im Hinblick auf die Quarto-Ausgabe erstmals seit langem das bisher wohl verdrängte Journal der achtziger Jahre, Die Innenseite des Mantels , mit der schwierigen Inkubation vom Jahr der Liebe , aufregend, aufregend – und hilfreich. Und spiele seit langem zum ersten Mal wieder Musik auf der von Igor geschenkten und installierten Musicbox; und habe eine Tändelei mit zwei blutjungen Serviererinnen im Restaurant Boulevard Montparnasse angefangen. Und bin merkwürdig – wie nach Jahren zum ersten Mal glücklich und rundum erregt. Und es liegt so viel vor mir, Lesungen noch und noch, der Fernsehfilm, das Magazin (volle Nummer zusammen mit Bachmann, der auch bald anreist). Viel Tätigkeit und Aussichten rund um das Greisenaltergeburtstagsbilanzereignis. Ich sehe, daß ich sozusagen bei allen Büchern, sogar bei Untertauchen , vor allem beim Jahr der Liebe , diesen Stromausfall, will sagen das Aussetzen und Nichtweiterwissen, den UNTERBRUCH hatte und erlitten hatte; scheint zu meinen Arbeitsbedingungen, zu meinen Bücherschicksalen zu gehören. Darum wird es beim NAGEL auch gelingen. Der Nagel im Kopf ist möglicherweise der Hieb der Sterblichkeit, der Enddrohung, er wäre dem jungen Kerl im Film Kapo verabreicht worden. So würde ich mit dem Buch unwissentlich in einen quasi aus der Luft gegriffenen Titel hineinwachsen, so war es ja auch mit dem Titel Das Fell der Forelle , zuerst war nach vielen verworfenen Titeln à la »Mein Herz« dieser unbegreifliche Titel da – eine Art Wegweiser. Und gleich beginnt um 14 h das Formel-1-Rennen (in Bahrain), und abends kommt Gesellschaft; gestern mit Contat und Teddy im Kino gewesen. Odile zurück aus Sizilien. Sie gefällt mir in ihrem kruden Mut und vorgeführten Mutwillen nebst der Todesfragilität, die ich immer bekämpft habe wie Canetti die ähnlichen Drohungen seitens Veza. Sie berührt mich, tief.

    11. Mai 2009, Paris
     
    Plötzlich, beim Musikhören, Klavierkonzert von Grieg, kam mir zu Bewußtsein, was die Antwort auf die Frage: was ist die Last, was ist der Packen (die Last ist mir zu schwer geworden, ich kann die Last nicht mehr tragen) ist: die Existenz. Es ist die Last der Existenz, und manchmal denke ich heutzutage, daß sie mir zu schwer ist. Ich dachte auch schon, ich könnte sie beenden und mich zu Tode stürzen – wie Stolp.
    Und was den Maria-Mann betrifft, so müßte man gleich zu Anfang die beiläufige Frage eines flüchtigen Bekannten einbringen: Haben Sie von ihm gehört? Er schien völlig normal. Er habe eine Geschichte oder besser Mesalliance gehabt … etc. Verhörfrage.
    Und tatsächlich ist ja das Problem dieses Lebensanfängers, daß er das Gift der verfrühten Lebensenttäuschung mit der Maria-Nacht geschluckt hat. Daß er in die Fratze der Illusion gestarrt hat so wie der junge Reisende in Messina nach Durchschreiten der Tür ins Leere »fiel«, es war einfach nichts hinter der Tür. Und wie wenn die

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