Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
ohne mitgerissen zu werden, ich sprach nur immer von dem beschwerlich zu begehenden Steinbruch. Und im Grunde wünschte ich mich zurück nach Paris.
Freitag mittag vor dem Abreisetag im Kreise der Stipendiaten in Christoph Riedwegs Gesellschaft oder besser Obhut auf der Terrasse und in der Kantine, es ging um die Vorführung des ältesten Stipendiaten, des Zeugen, meiner Person und der Begleitperson Skwara, und ich hatte zu erzählen von damals, was ich auch schicklich tat, angefangen mit Leoncillo, den Kiens, dem Café Rosati und dessen Stammgästen aus der Kunst- und Filmszene, wir waren ja damals alle Mitspieler oder Mitgenießer der von Fellini erfundenen Dolce Vita ; der Film hat mich damals, er kam 1960 heraus, sehr inspiriert, weshalb ich die assoziativ verbundenen Sequenzen nachzuzeichnen versuchte, das Gegenteil von Erzählung eben, die auf dem Rücken von Nino Rotas Musik transportierten Teiche der Szenen und Bilder, es war die Struktur und der Motor des Erinnerns, was mich beschäftigte, ja, davon habe ich gelernt. Davon habe ich auf Riedwegs Terrasse nicht gesprochen, wohl aber von der Villa Massimo mit Bobek und Hoehme, den deutschen Kameraden meines Romjahres, die den Krieg als Soldaten mitgemacht hatten inklusive Gefangenschaft, wobei mir bewußt wurde, wie das in den Ohren der jungen Leute tönen mußte, wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch, aufgeschlagen von einem Dinosaurier. Jemand sagte beim Abschied, ich trüge ein tolles Hemd, und einmal war ähnlich von meiner Gucci-Brille die Rede. Am Nachmittag nach dem morgendlichen Ausflug habe ich mich immer hingelegt mit Blick auf den hohen Himmel über der Terrasse, erschöpft. Es ließ sich nichts mobilisieren in mir, nichts Nennenswertes von damals, nur das Gefühl von tiefer Heimatlosigkeit, das ich bei allem Überschwang auch damals vor nun fünfzig Jahren empfunden haben muß, denn dieser Stadt kann man nicht angehören, man kann sich durch ihren steinernen Leib wühlen oder den LAUF, wie ich es damals wohl nannte. Skwara seufzte immer, ach, ist das schön, ach, ist das gut, je nachdem, ob es durch die Augen oder durch den Gaumen einging, und ich meinte, siehe da, der überglückliche Skwara, heilig heilig, wenn er sich auch noch so gern als Selbstmörder deklariert. Er hat seine Sue-Anne und viele andere Rettungswagen und Lustkutschen und Zudiener. Und vor allem hat er sein kindliches Königreich, in dem er mit Krone und Szepter thront und herrscht, ein Phantast.
Es ging dann über die antiken Ausfallstraßen hinaus zum Flughafen Ciampino und dort durch Kontrollen, Wartesäle und Warteschlangen endlich ins Flugzeug und durch die Luft nach Paris-Orly und wieder mit Bus nach Denfert-Rochereau unweit meiner Straße; und Skwara per Taxi in seine Ecke, wo Sue-Anne bereits wartete und den Tisch gedeckt hatte. Den folgenden Sonntag lag ich nach kurzem Einkauf den ganzen Tag in einer Art Schock darnieder. War niemand, der nach mir gefragt hätte, nur die Anrufe auf dem Beantworter zum Abhören. Und jetzt höre ich mit diesem Notieren auf.
4. Februar 2009, Paris
Auf dem Anrufbeantworter bei meiner Rückkehr aus Rom war auch die Nachricht von Pips’ Tod (Walter Pips Vögeli), Bildhauer, Postgasse 20, Bern, mein lieber Geselle in der Berner und mehr noch in meiner Zürcher Zeit, als ich berufshalber mit lauter Künstlern verkehrte. Ich weiß noch, daß ich ihn beim ersten Kennenlernen für vulgär und provokant hielt, was sich bald in große Brüderlichkeit verkehrte, ich war oft in seinem so ordentlichen Atelier, das hintenhinaus auf die Aare ging und wo auch ein Velo/Fahrrad, oder wars ein Motorrad?, schön aufgebockt seinen Platz hatte. Er war ein Draufgänger, tollkühn, notfalls auch Schläger; und er war in seiner Arbeit (einer der ersten, der mit Kunststoffmaterial arbeitete, vordem Metall und noch früher Malerei abstrakt-tachistisch) exakt wie ein Uhrmacher, ebenso reinlich und umsichtig. Auf Künstlerfesten exzessiv. Er war, vermute ich, das Alter ego meiner damals bürgerlichen oder doch bezähmten Person, er war eine Art Wunschbruder, und er guckte belustigt und neugierig zu mir über einen Zaun hinweg. Erinnere mich an mehrtägige und -nächtige Sauftouren und auf brüderliches Zusammensein in der Küche seiner ausgedehnten Altstadtwohnung, gewissermaßen im Hinterzimmer eines Lokals in verschwörerischer Komplizität wie Syndikatsbrüder. Ich war gern mit ihm zusammen, er bot mir einen Unterschlupf im Unbändigen ähnlich Friedrich
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