Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
schusseligen Geschäftigkeit und seiner nimmerendenden Suada, voller Wissen, ist anzufügen; ich rief, heilig ist Skwara in seiner beschaulichen, schaukelnden Gangart, heilig ist sein nimmerendender Kommentar zu allem und vor allem über sich selber, dies am liebsten, heilig in seiner überwältigenden Abgelenktheit und Unzuverlässigkeit, heilig, heilig, rief ich, und er lachte sein kindlich stolzes Lachen, weil es um ihn ging, es geht ja immer nur darum, auf ihn aufmerksam zu machen, wie kann einer so zerstreut und gleichzeitig reiseführerisch kompetent und gewieft sein. Die ersten Tage war es beißend kalt und eisig naß, römisches Winterwetter; danach kalt und sonnig. Skwara sprach immer vom Weißwurstpapst, und am letzten, dem Abreisetag, ist er früh morgens zu Fuß in den Vatikan gerannt, um für seine kranke, hochbetagte Mutter eine Messe kaufen zu gehen, während ich ein bißchen um die Kioske der Veneto und durch das alte Revier von damals schlich, immer in der Hoffnung, es möge sich etwas melden in mir, hochsteigen, da mir ja bewußt war, wie ich damals vor nun wirklich fünfzig Jahren in einer Art Dauerrausch vor Hochgestimmtheit, umgegangen war, und es ließ sich einfach nichts mehr in mir mobilisieren, nichts von der damaligen Verzückung, nichts von der Dankbarkeit, nichts von der glücklichen Weltverlorenheit und unterirdischen Panik und Einsamkeit; es ließ sich nichts hochtrommeln, wie sehr ich auch auf die Portale und Fassaden und Trümmerbrocken und in die tragende Luft voller Weltverkehr starren mochte. Schön wars in dem Volkslokal neben dem protestantischen Friedhof Nähe Porta Paolina, wenn ich nicht irre, schön und dämmrig und heilig vor Dankbarkeit, man geht ja hier nicht nur durch die vergangene Größe, sondern durch einen Anfang von allem, Anfang der gerade noch erinnerbaren Menschheit, durch Menschheitsfrühe, durch die Schnittstelle zwischen Altertum und Christenheit; und in dem angenehm dämmrigen Volkslokal aß ich eine Minestra und danach flachgegrillte Würste und bitteres Gemüse, dazu wie immer den weißen Wein aus der Gegend, vielleicht ist das Wohlgefühl in den Tavernen das einzige, das sich gleichgeblieben ist und durch das ich noch mit jener frühen Lebenszeit korrespondieren kann. Auf dem Friedhof liegt Goethes Sohn und befindet sich die Grabfigur von Skwaras bedichteter blutjungen Russin, zu der er in seinem Anruf aus Rom zu pilgern nicht nur vorgibt, wie ich feststellen konnte, sondern wirklich an sie herangeht, zum Küssen nahe, was halb wie ein Bubenstreich und halb wie ein übertriebenes Zeremonium auf mich wirkte; wie ja vieles in seinem kindsköpfigen Universum eitles Theater ist – und jetzt gibt die Schreibmaschine, die uralte, bald ihren Geist auf, wie ich fürchte. Muß ich wirklich auf Computer umstellen? Der kleine Bus bockte und schlug aus wie ein störrisches Maultier, so daß wir sitzend die halbe Zeit in der Luft waren, in die Höhe knallten. Etwas vom wirklich allerschönsten in Rom ist die kleine, fast zierliche Brücke zur Engelsburg mit den von Bernini erfundenen und entworfenen Engeln, die Engelsburg sieht im Abstand aus wie ein Termitenhügel in gigantischer Übertreibung, ebenso finster und erdig. Und jetzt gehe ich gleich in die alte Gegend Nähe Place des Victoires zu Skwara, wo Sue-Anne etwas Indisches zu kochen in Aussicht gestellt hat. Ja, Gianicolo voller sich reckendem Gesträuch und durch das vorfrühlingssprießfreudige Grün immer andere Aussichten auf die braunen Häuserherden mit den Kuppelhirten, unaussprechlich wie damals, man kann es nicht sagen, nur lieben verehren anbeten, das Schöne. Und auf dem Friedhof mit Goethes Sohn und den Poeten Shelley und Keats und eben Skwaras schöner unbekannter Russin, durch welche er sich einfach so durch Selbsternennung Einlaß verschafft in den illustren Kreis, sprang mir eine fette Katze auf den Schoß, als ich mich auf einer Steinbank niederließ. Man ist immer in Anbetung in dieser Stadt, man müßte sich abwenden zur Konzentration auf etwas Eigenes, denn mit Blick auf die wallende Herrlichkeit nimmt es dir den Mut. Frage mich, was Maria damals für mich bedeutet hat. Ob wohl die Lektüre von Canto heute weiterhilft? Ja, da gab es durch das Portal einer Kirche Einblick auf Bramantes Tempietto, mustergültiges Kleinod. Und sonst? Ich ließ mich einfach angehängt an die Lokomotive Skwara durch mein Rom von damals, wie ich hoffte (weil ich es wiederzubeleben wünschte), ziehen zerren reißen,
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