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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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verknitterungsreichen Pracht aufgegangen, daß es mir den Atem verschlägt vor Schönheit. Ich bin gern abgereist aus Deutschland und gern zurückgekehrt und fluche dennoch dem Alleinsein.
    Es ist, wie es ist. Ich kam auf Brigitte zu sprechen, weil ich ihr Einsamkeitsleiden verstehe und es kaum fassen kann, daß wir so ahnungslos, so jung begannen und uns ins Leben wie in ein Vergnügen geworfen haben, was natürlich nicht stimmt.

    25. Juni 2009, Paris
     
    Es ist Sommer, ich sitze an dem elenden (schwerfällig anspruchsvollen) Eßtisch aus der Rue Saint-Honoré, der mir in meiner Klause als Arbeitstisch dient und bin einigermaßen vergnügt. Stelle ich mir doch etliche Umstellungen der Möbel im Hinblick auf eine stimmigere Arbeitssituation vor. Es eilt nicht, jedenfalls werde ich vor dem Eintreffen der Fernsehequipe in drei Tagen nichts verändern, ich denke an später, ich denke an den NAGEL, er rumort in mir. Unterwegs zum Ärztezentrum und anderswohin ging mir durch den Kopf, einen Text zum Thema »Meine Mäzene« zu verfassen, ein Analogon zu »Meine Jahrzehnte«. Ich müßte wohl mit Susi, Susanne Baumgartner, beginnen, der Sängerin, die meine Schwester in den nächsten Familienkreis eingebracht hatte und die eine Weile unsere Hausbesitzerin und Mietsherrin an der Egelgasse, Nähe Burgernzeil in Bern und für mich so etwas wie die Dame, das heißt Marschallin aus dem Rosenkavalier gewesen ist, eine Verehrerin und Ermutigerin für den Abiturienten, in dem der Dichter aus der Verpuppung auszufliegen versuchte, qualvoll, weshalb sie mir den Finsterlingsnamen Hagen Tronje anhängte, nun, sie nahm mich ernst, sie gab mir jede Menge Kredit, davon später. Dann müßte ich wohl auf Eva Merz bei Radio Studio Bern zu sprechen kommen und unmittelbar danach auf Milo Albisetti und Paul Hofer, die durch erste Veröffentlichungen in der Zeitung bzw. in einem Ausstellungskatalog auf mich zukamen, weil sie von der Prosa, wenn man das so nennen kann, nun, von der Schreibe überrascht waren. Sie wurden, ein jeder für sich, aufmerksam auf das Talent und verfolgten von nun an meine Schritte teilnehmend, was insbesondere für Paul Hofer gilt, der mir ein privates Stipendium für Rom zusammentrommelte, als es soweit war. Von Milos tatkräftiger Unterstützung zu schweigen. Mutmacher und Mäzene. Lebenslang.
    Am totalsten gilt der Begriff Mäzen für Elisabeth Plahutnik, die in einem geradezu leidenschaftlichen bis religiösen Sinn an mich glaubte, unbeirrbar, in einer überwältigenden Hingabe, die ich später bremsen mußte. Sie wäre für das Genie, das sie in mir anbetete und um welches sie fürchtete, auf den Mond geflogen. Sie folgte ihrem Instinkt und ließ sich nie von der Überzeugung abbringen. Ihre Sicht auf meine damals junge Autorenperson mit gerade drei, vier Büchern als Aktiva – wir machten nach dem Erscheinen von Untertauchen Bekanntschaft – ist nachzulesen in Entwürfen für eine Art Porträt, die sie mir viel später als Zettel überließ. Ihre Hinwendung war maßlos und vor allem pausenlos, dies sowohl in eine Zeitlang täglichen Unterhaltungen wie in Lawinen von Briefen, nachdem ich nach Paris verzogen war, wohin sie mich eine Weile regelmäßig besuchen kam. In Zürich wurde das Haus Schweingruber – ihr Mann Hans, Verleger und eine Art Althippie, war überaus künstlergastfreudig – für mich über Jahre ein Refugium, ich habe da den größeren Teil von Stolz geschrieben. Eine vergleichbare Unbedingtheit in bezug auf meine Person und Künstlerperson habe ich wohl nie wieder nur annähernd gekannt.

    27. Juni 2009, Paris
     
    Jetzt noch ein Nachtrag zu den Mäzenen.
    Armin Kesser, dessen Porträt ich im Journal Die Zettel des Kuriers , aber auch im Text über Väterbilder (»Der ferne Vater«) memoriert habe, war zur Canto -Zeit wahr und wirklich mein Mentor: Ihm ist das Buch gewidmet.
    Es war seine Früherkennung des Künstlers in mir, sein unbedingter Glaube an meine Fähigkeit, wenn nicht Bestimmung, waren weniger Zirkusspiele als Brot, nämlich Nahrung für mich, der ich danach hungerte. Er war ja nicht irgendwer, sondern ein glänzender Essayist und Stilist, ein unerbittlicher Richter, mit Musil und Brecht und vielen Größen der Vorkriegszeit bekannt, er kam von Berlin in die Schweiz kurz vor der Machtergreifung, sein Vater der expressionistische Dramatiker Hermann Kesser. Lebensvoll und intellektuell, ein Kulturmensch. Als ich Canto schrieb, ging ich nach vollbrachtem Tageswerk stracks in seine

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