Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
Vom Netzwerk:
kostet und mich alles zu Tränen rührt und begeistert, man lebt ja fürstlich und ohne finanzielle Sorgen mit Wagen, Fahrten, Schwimmen, bestem Essen und viel Trinken und nach der Mitte des Buches mit einer Zweitfrau, also mit zwei Geliebten und offensichtlich beide Schönheiten, nicht gerade in Saus und Braus, aber eben im Garten Eden, im Paradies, alle sind sie blutjung und bei besten Kräften, nur ist er eben an das verdammte Schreiben gekettet, und das Schreiben ist seine tragische Liebe Nr. 1 und nicht zu teilen; und wunderbar, wie er das tägliche Schreiben verteidigt, weil er weiß, daß er nur da im tiefsten verantwortlich ist und am Leben scheitern könnte, also in Gefahr steht; und wie er beschreibt, wie er, aus den Armen der einen oder der andern zu seinem Arbeitsraum und da gleich in seine Story, also in das eigentliche Leben, nämlich das im Schreiben zu erringende oder zu verscherzende oder erreichbare Leben eintaucht, und zwar mit allem ihm zur Verfügung stehenden Ethos, das ist es, was mich am meisten betrifft, dieses Verantwortlich- und Geplagt- und Glücklichsein beim Schreiben, wenn es denn nicht ein Ringen genannt werden soll, denn nur da ist Wahrheit oder Verrat oder Niederlage oder noch schlimmer, und es ist nicht zu teilen, mit niemandem, auch mit der Liebsten nicht, die darüber verrückt wird, und ich will das Buch Odile kaufen, bei der das gleiche Problem akut war und nach wie vor ist.

    2. Februar 2010, Paris
     
    Klassenzusammenkunft, Matura 1949, Greisenasyl – mit Ausnahme von Fritz Thormann, der heute noch per Rad von Bern nach Paris fährt, Glatzkopf mit riesigem abstehenden Schnurrbart, einer der beiden Aristokraten in unserer Klasse. Mit ihm hatte ich in der Schulzeit wenig zu tun, wohl aber mit Hohl, dem späteren Botschafter, den ich vor seinem Tod in seiner Villa neben Athen, wo sein letzter Botschafterposten war, besucht habe.
    Wir waren wie Milchbrüder, ganz eng, beide heirateten wir früh, beide tranken wir gerne und viel, nach einer zusammen durchzechten Nacht glich der Tisch einem Wald voller leerer Flaschen, sage ich.
    Einmal hatte ich eine Lesung in Bern, Untertauchen , muß also 1972 gewesen sein, und entdecke im Saal den lange nicht gesehenen Freund Hohl neben einer auffallenden Eurasierin, Tochter eines Botschafters aus Bangladesch, Mutter Engländerin, wie ich später erfahre. Hohl zur Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt, darum Bern, er hat per Zufall von meiner Lesung erfahren, und nun sitzt er also da im Saal, und hinterher gehen wir zu dritt trinken und landen im Hotelzimmer von A., so heißt die junge Dame, wo wir weitertrinken und wo Hohl sich anschickt aufzubrechen, und ich ihm nach. Nein, meint er, bleib noch, ich mache mich auf den Weg. Und er haut ab. Er muß mich als Stellvertreter vorgesehen haben, denke ich später, als ich deren komplizierte Geschichte erfahre.

    4. Februar 2010, Paris
     
    Im Restaurant mit Odile, kambodschanisch, wir waren die einzigen Gäste (und beim letzten Mal, zusammen mit Marie-Luise Scherer, war das Lokal überfüllt gewesen). Auch das Essen war jetzt überhaupt nicht gut, soweit ein Reinfall, nur wir zwei allein und intim. Wir kamen auf Nabokov zu sprechen und auf seine andere Passion: die Schmetterlinge. Er lebte in beiden Welten. Und hat eine bis dahin unbekannte Spezies entdeckt, die seinen Namen trägt, auf lateinisch, versteht sich. Odile, etwas anzüglich oder süffisant: Siehst du, bei ihm hatte neben dem Schreiben noch anderes Geltung – das alte Lied, Eifersucht. Ich sage: Ich habe auch eine seltene Falterart entdeckt, die meinen Namen trägt. Ja? Dich –

    9. Februar 2010, Paris
     
    Ich habe eine geradezu abergläubische Furcht, mein Manuskript mit dem Nagel im Kopf aus der Versenkung zu heben und mir vor Augen zu legen; wie ich Angst habe, in die Arbeitsmansarde zu gehen, die meiner wartet und harrt und nur Miete kostet.

    24. Februar 2010, Paris
     
    Eben zurück vom Schreibmaschinenmechaniker, die Maschine ist repariert und läuft – wie der Mechaniker sagt – wie geschmiert oder wie ein Computer. Außerdem habe ich die Mansarde gekündigt, ich bin ja nie hingegangen.
     
    Was ich neulich gedacht habe: Das Laboratorium des Vaters hat mir nicht nur als väterliche Braustube oder einfach geheimnisvolle Arbeitsstätte gefallen oder mich beeindruckt, es mag sein, daß mir auch das Wissenschaftliche der Arbeit etwas bedeutet hat, also das vage Experimentelle, das Nebeneinander von köchelnden Essenzen auf

Weitere Kostenlose Bücher