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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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seine Augen malen die verehrten alten Meister, die er in Florenz studiert hat, mit. Ein heimlicher Maler, immer noch. Wieviel Tarnung braucht der Künstlermensch, um sich den gefährlichen Odysseen in den tiefen Wassern der Seele aussetzen zu können? Ist das weitläufige Atelier im Gebälk des alten Hofes Schlüpfen seine Arche geworden?
    Moehsnang, der Maler der verletzten und verletzlichen Seele. Ein Meteorologe der inneren Wetterlagen? Der Matrose auf dem Ausguck des hohen Mastes, dessen Augen nach dem rettenden Land hungern? Ein im Gelingen der Kunst Davongekommenenen. Hier der existentielle Aspekt, hier der Stempel der Glaubwürdigkeit.

    22. Juli 2002, Paris
     
    Wenn ich am früheren Vormittag schon im Atelier beginne, hat der Arbeitstag so viel Abwechslungsmöglichkeit wie einst in meinen ländlichen Klausuren. Lesen, notieren, sinnen, Siesta, Radio, dazu der Wechsel des Lichts. Früh ist’s dunkel und kühl in der ebenerdigen Klause, ab Mittag fällt die Sonne ins Zimmer, und am Nachmittag bade ich in sommerlich warmem Licht. Lebe nach dem Sonnenstand.
    Bin dabei, Joseph Zoderers Schmerz der Gewöhnung fertigzulesen, den er zu seinem fünfundsechzigsten Jahr beendet hat, wie er bei mir stolz verkündigte. Er hatte sich und seiner Frau zum Jahresfest und Gelingen des Romans eine Reise nach Paris geschenkt. Übrigens ist die Geschichte seiner Liebe und Ehe auch in das Buch hineingearbeitet, zart und sehr zupackend, wie ja alles in diesem Buch sehr kräftig im Duktus, manchmal geradezu stämmig und verblüffend eigen in den Bildern, in einer unnachahmlichen poetischen Prägnanz daherkommt, die das Leserempfinden füttert wie mit Brot und Wein. Es ist alles sehr stark hingestellt und das Gegenteil von Geschwätzigkeit, erdhaft im Geruch und knapp bis lapidar im Ton, unsentimental, fern von Wehleidigkeit, neugierig, lebenszugewandt und nachdenklich und, ja, sogar im Zorn, liebevoll, nun, human. Es erzählt Provinz und ist welthaltig: weltbedeutend?
    Es ist jetzt siebzehn Uhr, ich fahre nach Hause. Kochen, Skwara kommt zum Abendessen.

    26. August 2002, Paris
     
    Einfall für Fell der Forelle
     
    Immer wieder das Wasser im Rinnstein: eile eile
    Zum Schluß läuft der Gejagte in ein Bild hinein, das heißt in ein Wahnbild, eine Einbildung, in den Wahn. Andere laufen in den Tod oder in die Freiheit, er läuft in die – Kunst?
    Die Schuld ist das Verbrechen am Leben, und am Leben hat er sich vergangen, weil er die Liebe, diesen Lebensanruf, um der Kunst willen, verraten hat. Verraten, umgebracht hat er die Liebe. Es war Mord. Derlei »Geständnisse« müßten bruchstückweise zum Vorschein kommen, es ist ja nie klar, wovor er davon- und wohin er wegläuft oder weglaufen möchte. Das Umkippen in den Wahn oder in die reine Einbildung könnte auch durch ansatzweise Identifikation mit der ihm weitgehend unbekannt gebliebenen verstorbenen Tante inkubiert oder angedeutet oder vorweggenommen werden. Und eine Art Mordversuch war ja auch die kurz vor dem Akt abrupt verlassene willfährige Frau. Eile eile. Ein Mann, der irgendwo ankommt, aber nicht ankommen, nicht Fuß fassen kann und aus der Welt bzw. Realität kippt.
    Antagonismus zum erneuten Male: Leben und Kunst. Das Leben hat ihn aufs Trockene geworfen, und die Kunst ist verstummt.
     
    Ich kam auf diese Idee gestern im Kino, als ich Bogart in The Big Sleep sah, ich kam auf den Gedanken an das Verbrechen. Es geistert ein Verbrechen in meinem Text herum. Übrigens hat mir der Film, an dessen Drehbuch Faulkner mitgewirkt hat, nicht sonderlich gefallen, nicht zuletzt der Fehlbesetzung der weiblichen Hauptrolle mit Lauren Bacall wegen.

    7. September 2002, Paris
     
    Auf dem Markt gewesen und gestern einsam essen und danach ins Kino gegangen, einen frühen Losey anzusehen, den ich vor langem bereits genossen, nein, nicht sonderlich gemocht hatte, wirkt auch heute theatralisch überdramatisiert, überaltert, nun; danach auf dem Heimweg über den Pont des arts, wo die jungen Leute campen und zu Gitarrenklängen oder Tamtam-Trommeln lagern, scharenweise, den schönen Abend, das Herdenaufgehobensein, das Zusammensein genießen, die Gemeinschaft.
    Ich sehe all die Paare, die sich küssen und streicheln und aneinanderschmiegen in der Öffentlichkeit, sehr viele häßliche, bei welchen man sich Anziehung oder gar Begehren beim besten Willen nicht vorstellen kann, und dennoch lassen sie nicht voneinander ab und halten zusammen, ich denke verächtlich, ihr Idioten,

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