Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Vergänglichkeit geholt? Darum die andere niedere Maria, mit der ich schlief. Meine Maria vermißte ich mit Schmerzen, die mir den Hals zuschnürten. Oder konnte ich sie auch nicht »in Besitz« nehmen, weil ich ja verheiratet und insofern in einer realen Geschichte eingebunden und verankert war?
10. Juli 2002, Paris
Meteorologe der inneren Wetterlagen
Er lebt in diesem alten Hof in Schüpfen und gibt sich das Ansehen eines Krautjunkers. Das hat er mit Thomas Bernhard gemein, der in seinem Vierkanthof in der Nähe von Gmunden (Österreich) in einem ähnlichen Habitus und ebenso zeitungemäß selbstverkrochen hauste. Eine Neigung zum Althergebrachten?
Das Althergebrachte drückte sich bei Moehsnang auch in seinem altmodischen Handwerksethos aus – welcher Maler reibt heute noch seine Farben eigenhändig an und mischt ihnen kostbare Erden bei? Wer pflegt den Umgang mit dem Grabstichel, pflegt die Ätzkunst ebenso altmeisterlich hingegeben wie er und zieht die Proben auf einer eigenen alten Presse ab?
Das Atelier im Gebälk des ausgebauten Dachbodens hinter dem tief hängenden Dach zeigt mehr als nur Verkrochensein an, man denkt an Verschanzung. Und was seinen äußeren Habitus angeht, so wundere ich mich immer, daß ich Moehsnang, wenn ich aus der Ferne an ihn denke, in Stulpstiefeln und weiterer Vermummung vor Augen habe – wie einen alten Niederländer? Ich könnte auch sagen: wie einen aus dem Gulag. Einen Entlaufenen.
Schon in den Berner fünfziger Jahren war er ein heimlicher Künstler, sein Selbstschutz waren Höflichkeit und Zurückhaltung, was zur freizügigen existenzialistischen Kunstszene der Rüdlinger Zeit in krassem Kontrast stand; man müßte einige Schichten wegkratzen können, um zu ihm vorzudringen, dachte ich damals.
Er war ein Außenseiter, den es aus dem Ruinendeutschland in die Beamtenhauptstadt der kriegsverschonten Schweiz mit den wieder offenen Grenzen abgetrieben hatte. Für die Schweizer Künstler seiner Generation in ihrer wilden Aufbruchstimmung gab es damals keine Beladenheit durch die nahe Vergangenheit und schon gar nicht die Aufgabe der Schuld- und Schreckenstilgung: Auch das mag eine Trennwand errichtet haben. Ich erwähne diesen Umstand in der Form der Vermutung, niemand machte sich Gedanken darüber, Moehsnang gehörte am Rande zu uns, er sprach ein leicht bayerisch gefärbtes Berndeutsch, er gehörte zur Altstadt, zur Subkultur. Und war doch ein Fremdling.
Er ist verschwiegen, was die dreißiger und Kriegsjahre betrifft. Die Rede ist von dem großelterlichen Palais in Amberg mit der schönen Dixhuitième-Fassade und der bunten Bewohnerpopulation innerhalb der Mauern, man ahnt Egberts Heranwachsen als eine glückliche Kindheit; Verwandte, vielerlei Berufe, viel menschlicher Anschauungsunterricht, viele Anlaufstellen für das Kind, Sippenzugehörigkeit, Geborgenheit, die Hausmusik nicht zu vergessen. Und danach die Austreibung aus dem Paradies und das Unterkommen in einer engen Wohnung für die zur Kleinfamilie geschrumpfte Lebensgemeinschaft. Vor den Fenstern die Drohung der braunen Horden und Angst. Und Klein-Egbert, der an seinem Kindertisch gegen die Furcht anzeichnet, bis er, ein Jüngling, selber eingezogen wird.
Ist hier die Konstellation – die Verwundung? –, die Moehsnangs Künstlerwerden begründet; und die innerste Motivation für das in der Stille und im Verborgenen gewachsene malerische Werk, das heute als einer der wichtigen Beiträge der internationalen informellen Kunst verstanden werden darf?
Ich fand für seine dunkeltonige Kunst der achtziger Jahre das Wort Malerei der aufgewühlten Tiefen . Ich spreche von den abstrakten Schlachtenbildern (wie ich sie für mich nenne), die in erdfarbenen Tönen gehalten und in ein dramatisches Helldunkel getaucht sind. Bilder des Ringens, Notwehr gegen ein drohendes Verschlungenwerden, Notwehr gegen den seelischen Absturz.
Gegen Ende des Jahrzehnts setzt behutsam der Gang in die lichten Zonen der Farben, in zauberisch hingehauchte Heiterkeiten ein. Lichte Momente, Lichtblicke. Das Malen des Falterbesuchs, wenn denn das Bild des Falters für das Zarteste, Heikelste an Glücksbalancen stehen und taugen mag.
Egbert Moehsnang ist ein abstrakter Diarist, wage ich anzunehmen. Er sitzt, wie damals der Knabe angstgebeutelt vor seinem Kindertisch saß und gegen die Furcht anzeichnete, vor seiner Staffelei und wirft im Medium der Farbsubstanzen seine Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten auf die Leinwand; und durch
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