Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
Vom Netzwerk:
entsprechende Sicherheitsgarantenrolle gespielt haben, wenn wir auch des öftern nicht nur haderten, sondern im Krieg lagen. Er war die Zentralperson meines Schriftstellerlebens, manchmal die einzige oder einzig verbleibende Schutzmacht, wenn er mir auch mißtraute wie damals in Venedig, als er, Alkohols wegen, eine lange Treppe heruntergefallen war und ich ihn mit Blutspuren zu Füßen der Treppe im Hausflur liegen sah, es war an seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, und er hatte eine Anzahl Suhrkamp-Autoren nach Venedig einfliegen lassen, Frisch und Enzensberger und Walser und einige andere, auch den Sohn Joachim, der damals dem Vater den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, er meldete den eigenen Macht- und Führungsanspruch an und verlangte, daß der Vater endlich abtrete, wenigstens dem Sinn nach, und daher das Zerwürfnis, der Sohnesrausschmiß, und Unseld hat es nie wieder gutgemacht, es war wohl Entthronungsfurcht, Ermordungsfurcht wie in alten Königsdramen; damals in Venedig hatte mir Unseld den Torcello-Preis der Suhrkamp-Stiftung zugespielt, eine tolle Summe, es war nach Erscheinen von Im Bauch des Wals (und in meinen Augen zur Geburt Igors); und als Unseld unten an der Treppe in seinem Blut lag, Handke über ihn gebeugt und seine Hand haltend, murmelte der Verletzte, als ich mich (neugierig) näherte: »Pablo, Du nicht« oder so ähnlich, als wäre ich ein potentieller Verräter oder Feind. Dabei war er häufig in meinen Ateliers gewesen und hatte sich Teile von werdenden Büchern vorlesen oder von Band vorspielen lassen, zuletzt zusammen mit Ulla in der Rue Saint-Honoré, ich erinnere mich an manche solcher Besuche, er war fasziniert von dem Gehörten und ermutigte und versprach weitere monatliche Vorschüsse, Finanzierungen, er wartete wohl immer auf meinen Durchbruch, den großen Erfolg, der leider ausblieb, und dennoch hielt er zu mir, wenn er mich auch zwischendurch beinah verleugnete nach außen hin, wenigstens schien es mir so, er blieb treu, scharte aber mit Vorliebe Erfolgreiche um sich, er mochte im Grunde den erfolglosen Autor nicht. Für ihn das Unvorstellbare. Bei mir half dann die französische Anerkennung über mein Manko hinweg, das hat ihn schon beeindruckt, und im tiefsten blieb ich seine ganz persönliche Entdeckung als junger Canto -Verfasser, darauf kam er immer wieder zu sprechen, und das wurde ja anscheinend gestern nacht in einer Ad-hoc-Radiosendung auch von Marcel Reich-Ranicki erwähnt, wie mir Maria Gazzetti heute am Telefon sagte, es hieß, Unseld habe einige der Autoren erster Stunde von Peter Suhrkamp übernommen und einige weitere wie Johnson und Nizon selber entdeckt oder an sich gebunden. Odile sagte mir immer, ich sei viel zu sehr seelisch von Unselds Gnaden abhängig, hätte mich seit langem lösen und mein Heil anderswo suchen sollen, und wenn ich so etwas Unseld sagte und ihm vorwarf, er habe sich nie einen Reim auf meine Kunst machen und mich darum nicht verkaufen und groß herausbringen können, dann entgegnete er immer in blutigem Ernst, kein anderer Verleger hätte mir mit vergleichbaren Investitionen die Treue gehalten. Sein gespaltenes Verhältnis zu mir kommt in der von ihm herausgebrachten und verfaßten Verlagsgeschichte zum Ausdruck, wo er mich zwar herausstellt, jedoch irgendwie zögerlich, er wagte nicht ganz, ganz zu mir zu stehen, weil er sich wohl nicht ganz sicher war, was meinen literarischen Wert anging. Erinnere mich, wie er in der Frankfurter Oper zum großen Verlagsjubiläumsfest, als ich ihm in die Hände lief, mich mit sich wegführte, als gälte es, mich irgendwem vorzustellen, oder als gälte es etwas Wichtiges; und dann führte er mich aus dem Trubel hinaus und setzte uns beide an ein dunkles Fenster in einem leeren Saal, setz dich, und wir saßen so im Dunkeln, und er schaute hinaus oder vor sich hin, und ich harrte der Dinge, die da kommen sollten, und dann murmelte er bloß: so oder na ja oder so ähnlich, und wir saßen stumm einer neben dem anderen. Er konnte mit meinem mangelnden Erfolg nicht zurechtkommen, nicht fertig werden, er hielt Stücke auf mich und blieb verunsichert. Und wie er zu meinem 50. Geburtstag in Paris erschienen war, mit einem Dupont-Schreibbesteck als Geschenk, und mit mir in der Closerie des Lilas gespeist und getrunken hatte, um mich »in den Kreis der Erwachsenen zu geleiten«, wie er meinte. Und in Berlin, wo er auftauchte, als ich meinen DAAD -Aufenthalt absolvierte, um mir bei einem zeremoniellen Essen

Weitere Kostenlose Bücher