Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
zarte Liebesgeschichte, auch erotischermaßen, ergreift, muß ich mir eingestehen, daß hier ein Könner von einer ihm unverkennbar zugehörigen Stoffwelt erzählt, von jugendlichen, eher proletarischen Randgängern, nicht gerade Ausschußware der Gesellschaft, doch Geschädigten, Angeschlagenen, Instabilen der Großstadt (Berlin) – nun, ich kann nicht sagen, daß mich diese Typen besonders interessieren, doch erwecken sie Mitgefühl, sie sind ja auch vom Autor eher brüderlich behandelt in ihrem Jargon, Slang, den er brillant, fast schon zu sehr vorzeigt, vielleicht tut er das, um eine dahinter verborgene Unschuld auszuschweigen. Er hat jedenfalls seinen Stoff, seine Domäne, sein Milieu, und er kann daraus noch und noch Bücher zapfen, er veröffentlicht regelmäßig und fortgesetzt. Er ist nicht nur ein Erzähler, er ist ein Chronist, doch ist er kein Stilist, er erzählt in eher herkömmlicher Manier. Was die Bücher liebenswert macht, ist die Anteilnahme, eine Art Nächstenliebe – hier sein Humanismus oder seine Humanität.
Ich könnte mir mit meinen paar Büchern angesichts dieser Produktion schon fast steril vorkommen, ich bin kein Epiker und erst recht kein Chronist, ich bin ein Verschweiger , in der Intention ein Essenzdichter, das macht meine Vorgehensweise so vertrackt und zeitlich kostspielig. Verschweiger oder Aussparer oder Tiefengründler, bis ich auf die kleine Goldader in meinem Stoff stoße, die, wenn ich Glück habe, zur Leuchtspur wird. Ein Ausgeber, Verschwender, manischer Schreiber bin ich in den Journalen, die den Seitenflügel meines Werkes ausmachen und wie ein gigantischer Kommentar zum eher schmalen Gefilterten verstanden werden können. Hier ein aus allen Nähten platzender Reichtum, die Überfülle (im Grobstofflichen, im Gemenge).
Und warum hätte ich mich mit meinen paar gefilterten Prosabüchern, einem Werk, das nur von den Mühen und Nöten, aber auch den wenigen Lichtblicken, Trunkenheiten, Verzauberungen, Verheißungen (letzteres vor allem) eines in einem unausgesetzten Kampf (mit dem Engel) befaßten ICHS und insofern von einer poetischen Existenz handelt – warum hätte ich mich mit diesem umfangmäßig Bescheidenen in die Literatur eingeschrieben? Weil das Werk eine unvergleichliche Duft- und Lichtspur atmet, ein Zeugnis menschlichen Ringens um Existenzauslotung in noch unausgeleuchteten Bereichen, Innovation? Es ist ja nicht nur das Dichterleben oder, wie meine Bezweifler es auszudrücken belieben, ein Dichterdarstellerleben – es ist die Spur eines verzweifelten Glücksforschers, eines merkwürdigen Überlebenden, Davongekommenen. Das Glücksjagen ist ein Sprachsuchen. Weil in der Sprache eine vorübergehende Eigentlichkeit oder Gemeintheit und damit Zugehörigkeit erstritten wird.
16. Oktober 2003, Paris
Gestern zusammen mit Colette vor den versammelten Vertretern im Verlag Pauvert unser vierhändiges Projekt über Maria und Rom angekündigt oder besser gesagt verteidigt, es war meinerseits das reine Flunkern, wenn nicht Betrug, da ja von dem Buch so gut wie nichts vorliegt, das heißt, es gibt allerlei durchgeschriebene Passagen von Colette, nur daß mein Part auf leeren Seiten durch Abwesenheit glänzt, wenn ich auch einiges an Allgemeinheiten zum Projekt aufgeschrieben habe und auf Passagen in meinen Dossiers gestoßen bin, die ich montageweise einsetzen könnte, sobald sie von Deshusses übersetzt sind. Daran bin ich im Moment, und wenn ein Rohbau vorliegt, kann man den Tonfall erkennen und die Struktur und überarbeiten; danach ergänzen und ausfeilen. Fast wage ich zu hoffen, daß wir etwas hinkriegen werden, und falls dem so sein sollte, hätten wir quasi mogelnderweise oder blind dennoch einen Text gewissermaßen aus der Luft gegriffen. Das gestrige Vortragen in der Vertretersitzung war eine Art Examen oder amüsierte mich in diesem Sinne, so daß wir hinterher im Café Flore zusammen mit anderen Pauvert-Autoren und Maren im Mittelpunkt ganz vergnügt süffelten, so als wäre alles auf besten Wegen, wenn nicht gelungen.
Und heute ist endlich das Rohbaumanus des neuen Journals eingetroffen und außerdem Adieu à l’Europe , letzteres ist sehr schön geworden. Ich mache alles in allem so etwas wie Bücher-Simulieren (statt -Schreiben), immerhin besser, als vor mich hinbrüten. Die Sommerlähmung scheint vorbei. Zwischendurch ruft immer wieder die leicht verwirrte Elisabums an, Hansens Witwe, und schwadroniert von Dingen, die nicht ganz von unserer realen
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