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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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Klinik in Luzern gestorben, die Söhne haben ihn heimgeholt, heimgeschafft. Er liege in Beckenried begraben. Diese Morgennachricht erhalten.

    27. November 2004, Saint-Jans-Cappel
     
    Vorabend der Abreise von Mont-Noir. Die Forelle ist nicht entscheidend weitergediehen, vielleicht ist nicht mehr zu wollen. Die Tauben sind aus dem Hof verschwunden. Ebenso gibt es die Tante nicht mehr. Die Küche blitzsauber und vor Sauberkeit unbetretbar. die Wohnung eindeutig nicht zu bewohnen. Eine Reduktion, Umzingelung der Leere. Er wird also aus- und weiterziehen. Wieder ist sein Gepäck da in der Diele, wie am Anfang. Soll er unten beim K`ürschner den Stich mit der Halbnackten kaufen, wozu? Wem könnte er das Fell der Forelle anbieten? Ghislaine? Carmen? Soll er sich verabschieden?

    10. Dezember 2004, Paris
     
    Zurück aus Rußland. Bin aus St. Petersburg vorgestern um 16 Uhr Ortszeit abgeflogen und am Abend hier angekommen und mit Odile essen gewesen. Hier war es ziemlich kalt, in Petersburg während unseres Kurzbesuchs eine Art Wärmeeinbruch, das heißt über null Grad und Sonnenschein, so daß die in der Newa aufgeworfenen Eisschollen – wie von Caspar David Friedrich akribisch horrifiziert – im hellen Licht emporstarrten und die herrlich farbigen Fassaden der vielen vielen Paläste, an den Kanälen liegenden und darum nicht nur wie vom Wasser getragenen, sondern wie über Wasser schwebenden Fassaden und Kirchen zauberisch, vor allem leicht und apart in Erscheinung traten. Es ist soviel Raum in dieser Stadt, Lichtraum, natürlich des Wassers wegen, die Stadt ist ja fast wie Venedig eine Wasserstadt und nicht recht auf festem Grund. Ich frage mich die ganze Zeit, ob es wirklich der Panzerkreuzer Potemkin war, der da ankerte in diesem Grauton, der uns von den Kriegsspielzeugen oder besser den Spielzeugpanzern und -panzerschiffen vertraut ist und mit den ebensolchen nicht ganz ernst zu nehmenden Kanonen und Kanonenrohren. Aber auf dieser Stadtrundfahrt habe ich nur panoramisch oder schweifenden oder verhangenen Auges hingeschaut, ich sagte mir, es ist wunderbar und ich werde ja wiederkommen, es muß jetzt nicht alles gleich wie für immer sein. Dachte, diese vielen Kirchen hier in Rußland sehen wie Gruppen von eng zusammenstehenden Mütterchen unter geblähten Zipfelmützen aus, es ist eine andere Religiosität, eine in der Dimension des Massenchors, und innen sind die sakralen Räume fast bis zum Ersticken bunt bemalt wie Ostereier mit all den Ikonen, es ist wiederum eine hitzige Frömmigkeit, und dann liegen in Reihen die zaristischen Sarkophage da, und das Zarentum ist überhaupt immer allgegenwärtig, volksnah, und manchmal grausam volksnah, und damit muß die ostereibunte Frömmigkeit auch zu tun haben; und die Verschickten, nach Sibirien Verschickten, in Ketten. Wie Dostojewski, dessen Wohnung ich besucht habe. Er war mit einer sechsundzwanzig Jahre jüngeren Frau verheiratet, wie ich, und hat eine Anzahl Kinder mit ihr gezeugt, wovon deren einige starben (im Kindesalter), und er war lange Spieler gewesen und hat es sich ihretwegen abgeschworen. Er war ja Anfang seiner zwanziger Jahre wegen antizaristischer Umtriebe nicht nur verhaftet, sondern zum Tode verurteilt worden und im letzten Augenblick vor der Exekution begnadigt und verschickt worden (s. Totenhaus ), und er hat seiner Frau immer viele verliebte Zettelchen zugeschoben und kleine Aufmerksamkeiten erwiesen, er war eben verliebt. Und er war brünstig bibelfest, die Bibel die einzige erlaubte Lektüre in der sibirischen Verschickung und Gefangenschaft, und warum kam mir seine Wohnung, die im Unterschied zu der gräflich tolstoischen bescheiden zu nennen ist, wenn sie auch für unsereinen immer noch recht standesbewußt wirkt, zwar eben bürgerlich und nicht aristokratisch, und dennoch ist sie mehr als nur geräumig, in so einer Wohnung dürfte sich Oblomow mehrheitlich liegenderweise aufgehalten haben, nun, warum kam mir die Wohnung vertraut vor bis zu dem Grade, daß ich mir sagte, ich kenne sie, kenne sie von früher her, vom Vater her? Wie denn überhaupt diese kurze Rußlandreise, wie ich eben jetzt erst erkenne, eine Art Heimkehr war, ja, es ist nicht übertrieben, das zu sagen, im Grunde war das Kindheitshaus in der Länggasse ein russisches Haus, um von unserer Familie gar nicht zu sprechen, Vater muß dennoch einiges mitgebracht oder besser transferiert haben, ich könnte fast so weit gehen zu behaupten, ich hätte in manch Russischem das

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