Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Herrlichkeit, es ist immer soviel Vorhaben und Muthabenmüssen und Verquickung von Mühsal und Hoffnung im Spiel. Es ist das Bad des Lebens, mein Element. Und nun tummle dich. Und alles steht offen
Bern ist sowohl Beklemmung wie ein Wiederanknüpfen an die Frühe. Wobei, und das gilt für die ganze Schweiz, mir einmal mehr bewußt wurde, daß ich damals, 1976/77, eben noch den letzten Zug zu meiner Rettung erwischt habe, ich meine die künstlerische Rettung. Nicht auszudenken, was aus und mit mir geworden wäre, hätte ich bleiben müssen.
Baden, Bern, Zürich. Auch in Zürich ist seelischer Klebstoff, habe ich da doch immerhin 13 sehr tätige, intensive Jahre verbracht – die Stationen: Höngg, Rollengasse, Stockerstraße und die Intermezzi In Gassen und Delphinstraße. Gegenüber der winzigen Bleibe In Gassen das Wirtshaus Kropf. Zusammen mit Boris als einzige Gäste Samstag nachmittag da verbracht mit guten weit ausholenden Gesprächen. Es ist ein Wiederanknüpfen oder Wiedergutmachen, ich spreche von der Vater/Sohn-Beziehung. Mit Boris im Hotel Zürichberg genächtigt und gefrühstückt inklusive Besuch von Brigitte. Anderntags Marianne einen Besuch abgestattet Nähe Bahnhof Enge.
Sind diese Besuche und Abstecher in die Vergangenheit nicht im Zusammenhang mit der Plafonnierung für den neuen Roman anzusehen? Ich fahnde nach den psychischen Fundamenten des neuen Romanhelden; muß ihn aus den frühen Sedimenten ausbuddeln.
Bleibt die Konfrontation mit Deutschland. In Düsseldorf steht vor der Galerie von Wolfgang Gmyrek eine Plastik von Bobek. Schrecklich das einer Emiratenkette gehörende Luxushotel aus Marmor und High Technology, eine blöde Mischung oder Paarung, das Gegenteil von Gastgeberfreundlichkeit, das nackte Geld. Doch bei Tadeusz im Atelier mit all den verstiegenen Figuren, hauptsächlich Frauen, teils komisch verdreht im Raum an Ringen hängend, Zirkusartistennummern oder Folterübungen zwecks Frei- und Preisgabe der weiblichen Körpernatur. Ich liebe ja Künstlerateliers und spürte gleich, wie ich mich in Wohlgefallen und Wohlbefinden zu entspannen begann. Wobei der untersetzte, kräftige Maler, Nichttrinker, weil Alkoholiker, wie er bekanntgab, gleich meine Sympathie erweckte, kurzangebunden und mitteilsam, eine seltene Mischung, ein Energiebündel? ein Schaffensfanatiker? im Beisein seiner beträchtlich jüngeren hübschen blonden freimütigen (?) Frau zunehmend sich eröffnete, hatte ich den Eindruck. Zur Stimmung der Freimütigkeit trug die Anwesenheit des Kunsthändlers Gmyrek bei, eines großen wuchtigen korpulenten liebenswürdig schlauen Mannes. Der uns anschließend zusammen mit einem Literaturkritiker in ein Nobelrestaurant ausführte.
Die vielen im Zug verbrachten Stunden, das Lesen, Denken, Dämmern, Schlummern, die sowohl einschläfernde wie stimulierende Lokomotion. Ein Fries von Begegnungen, Ansichten, Schauplätzen, Bühnen. Tadeusz’ Figuren sind akrobatische Knäuel und Verknäuelungen.
8. Juli 2008, Paris
Heute ist Dienstag, es ist Mittag, gestern abend war Samuel Moser zu Besuch, er reist mit dem Heinz-Schafroth-Clan in Bälde nach Griechenland wie so oft schon; und Odile und ich sind Sonntag spät von Rom zurückgekehrt. In Rom wars heiß, an die 35 Grad, für mich schwer erträglich wie das ganze Herumlaufen überhaupt, ich bin wirklich nicht mehr sehr marschtüchtig, und Rom war zum Ertrinken schön oder bewegend, wenn ich’s auch nur wie durch eine allmählich Gestalt annehmende Erinnerung hindurch – aber dann doch am Leibe – verspürte. Es ist vor allem der steinern leibhaftige, der mörtelige Maueraspekt in diesen rötlichen und ockernen Tönen, du wirst augenblicklich irdisch, zum Erdenwesen, du gehst im Lichte, das wirklich bis auf den Boden hinunter glänzt, du gehst schlaftrunken-weltergeben, halb schlafwandlerisch daher in diesen Mauern und Mauergäßchen, dieser ganzen bröckeligen Hinterlassenschaft, immer tief im Steine. Und zum Mauerwerk gehören die Schirme der Pinien und die dunkel züngelnden Zypressen, alles ist packend greifbar, und du wirfst allen hochgreifend oder himmelstürmenden Ballast ab und gehst essen. Wir wohnten in unmittelbarer Nähe der Porta Pinciana in einem Viersternhotel. Und für mich am schönsten war der Vormittag des zweiten Tages, der Samstagvormittag, den wir in der Villa Borghese, in diesem wunderbaren Parkgebiet unter den Schirmen der Pinien mit den weithin wallenden Wiesen, schon etwas angedörrt, und den
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