Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
immer unverhofft auftauchenden Bauten verbrachten. Ja, das Immergrün, das so wunderbar zum Mauerwerk und dem Zerbröckeln der Gloria mundi paßt. Das Sich-Ergehen in dem Parkgelände ein wahrer Genuß. Die Welt ist hier mehr als gesittet, schon fast entrückt. Und dann, etwa vom Gianicolo aus, die lagernden Leiber, die rötliche Steinherde, die ewige Prärie aus Stein in diesen Bullenfarbtönen, und die Kuppeln und die Gestikulation in den Himmel hinein von schönsten Architektursilhouetten. Und die Fächer der Pinien. Das Irdische und das Ewige. Und gehst essen. Ich spürte blaß, wie ich ergriffen und eigentlich dauerenthusiasmiert gewesen war damals vor fünfzig oder hundert Jahren und es bis zum Überlaufen bis zum Beben in den Gliedern und im Kopfe jauchzte, weil ich da sein durfte im schönsten Irdischen und unvergänglich Ewigen. Und ich bebte vor Ergriffenheit natürlich auch, weil ich jung und am Leben war. Es fehlte nur das mich anführende, anschürende Weib, und so erfand oder erkor ich Maria, ich Schuft, mir zu dienen, wenn auch nur in den inneren Vorgängen, und dennoch blieb es Ausbeutung und Aufopferung, Opfertod.
Rund um die Veneto und um das Istituto ist Rom das elegante 19. Jahrhundert (haussmannien). Im Institut zur Feier des sechzigjährigen Bestehens auf der Terrasse unter den baumhohen Azaleen und Rhododendren und Zitronenbäumen las ich aus dem Canto , es war meine Opfergabe. Ich war verblüfft, wie groß meine Notorietät (geworden) war. Es gab unter den hauptsächlich musikalischen Beiträgen nur meine Lesung als Gipfelpunkt. So ist der damals hier und teils dank des Instituts entstandene Canto wirklich zum Preziosesten der Institutsgeschichte geworden, es war, was das Buch anbetraf, demnach die »Heimkehr«. Ich habe »es« zurückgegeben.
Zwischendurch mit Maria Gazzetti, der extra Angereisten, spazieren gewesen, auch tafeln, doch davon mag ich nicht reden. Auf dem Gianicolo wehte die irdische Ewigkeit. Ich glaube, Odile wurde zwischendurch auch von Glücklichseinsschauern durchzuckt.
18. Juli 2008, Paris
Die leere Seite, die erste Seite, wie aber, wenn sie leer wäre – gemeint ist »wie wenn das Buch meines Lebens sich aufschlüge« aus der Forelle – hier liegt die Last, liegt der Packen verborgen: hier der Grund des inneren Unglücks, der die Selbstverfesselung und damit die Verhinderung des epischen Erzählens verursacht; die leere Seite, Sog der inständigen Introspektion, auf die Doris Krockauer anspielt; und aus diesem Erbübel habe ich meine eigenste Weltsicht entwickelt, das Glückssuchen des seligen Inneseins, was auch Selbstbefreiung meint; habe ich meine eigenste Thematik erfunden, das Tauchen nach dem goldenen Ring durch die Strudel der Finsternisse; die Verproviantierung fürs Weiterleben, die das Weiterschreiben als Wirklichwerdung mitmeint; eine Thematik der Ichsucht, die, wie Martin Simons meint, den heutigen Jungen auf den Leib geschrieben sei (ich sei eine Generation zu früh erschienen), nun, was ich damit sagen will, ist der Schmerz des Mißverstandenseins, etwa im Falle Odiles oder anderer, wenn man mir die Unfähigkeit, aus meinem Gegebenheitskerker ins große Fiktionieren und »Verdienen« (Geldverdienen) auszubrechen, als einen Mangel oder ein Versagen oder Verbohrtsein vorwirft und dabei die tiefe Not übersieht und die Anstrengung, aus der Not und Knebelung meine eigenste Dichtung und Musik zu gewinnen, diesen meinen funkelnden Aufstand, der mein Stärkstes ist, durch Nichtverstehen einfach wegwischt; es ist dann wie Verrat in meinen Augen, wie Hinrichtung; erkenne mich, schreit Stolp in der Forelle ; die erste unaufgeschlagene Seite des Buchs meines Lebens ist es, die mich knebelt – und auf meinen eigensten Weg schickt, geschickt hat. Odile hat auch so eine erste leer gebliebene, nicht zu beziffernde Seite, an der sie nagt und leidet. Es sei diese Entsprechung, die uns zueinander gezogen haben mag, nebst der körperlichen Anziehung.
15. November 2008, Paris
Gestern mit Piller in Auvers-sur-Oise gewesen, vor den Gräbern von Vincent und Theo van Gogh gestanden, der Friedhof auf einer Anhöhe, die Gräber die einzigen mit kleinem Kreuz, einzigen schönen, das Beet efeuüberwachsen, davor gestanden, den Kopf im novemberlichen Nieseln, so spät im Leben endlich dem Mann, der mich entzündet hat und auf meine Lebensreise schickte, die Ehre erwiesen. Sah alles mit van-Gogh-Augen, die Felder, die Kirche in den verzogenen Konturen, die den Bau zwar
Weitere Kostenlose Bücher