Urlaub fuer rote Engel
Bayern verbat sich den kommunistischen Politunterricht.
Weiterfahrt in den mächtigen Vorratsbunker, in dem 50.000 Tonnen Salz zwischengelagert werden können. In dem fabrikhallengroßen
Raum steht der einzige Schaufelradbagger der Welt, der sich unter Tage befindet. Im März 1989 für 5 Millionen Mark gekauft,
auseinandergebaut und Teil für Teil in den Förderkörben nach unten gebracht. Er sollte helfen, die Kumpels bei Arbeitsspitzen
von immer wieder nötigen Sonderschichten zu befreien, denn sie konnten in manchen Monaten nichtso viel Salz fördern, wie auf den Weltmärkten verlangt wurde. Einer der Touristen fragte, wie lange die Kalivorräte in Merkers
reichen.
»Wenn man wie bisher täglich 27.000 Tonnen fördert, mindestens noch 40 Jahre.« Nach der Besichtigung des Vorratsbunkers Weiterfahrt
zum Goldraum, in dem 1945 Gold, Geld, Gemälde, Teppiche und andere Schätze der Deutschen Reichsbank eingelagert waren. Eisenhower
persönlich beaufsichtigte den Abtransport. Nichts davon wurde wiedergefunden. Die Hälfte des Goldes würde reichen, sagte mir
der Steiger leise, um heute Grube und Werk zu retten. Ich fragte ihn, weshalb er mit den anderen nicht über die Ängste der
Kumpels spricht. »Es sind unsere Gäste, wir zeigen ihnen nur das freundliche Gesicht. Alles andere verdirbt das Geschäft.«
70.000 Gäste seit August 1990. Man arbeitet mit Gewinn. Und die entdeckte Kristallhöhle im Erlebnisbergwerk soll bald unter
dem Schutz der UNESCO stehen. Leider nur diese Höhle …
Nach dem Frühstück werden die Kumpels im Bus gesprächiger. Der Graubart rechts neben mir, Siegfried Miersch, ist 53. Seit
28 Monaten arbeitslos. Mit 14 begann er im Bergwerk, 36 Jahre arbeitete er dort. »Ich war gerade 50 geworden, als der Steiger
mir sagte: ›Siggi, du fährst heute schon eine dreiviertel Stunde eher aus, sollst dich beim Betriebsdirektor melden.‹ Der
überreichte mir einen Wisch. Ganze drei Sätze standen drauf auf der Entlassung. Drei Sätze für 36 Jahre unter Tage. Meine
Frau hatte noch Arbeit in der Merkerser Buchhandlung, ja, das ist die neben unserem Werktor. Aber meine zwei Söhne, deren
Frauen und ich waren arbeitslos. Da habenwir zusammen als rettenden Strohhalm die Buchhandlung gekauft. Aber wenn Kali dichtmacht, können wir die auch schließen.«
Er reicht mir Knackwurst und Schnaps herüber. »Wenn es erst so weit ist, hilft nur noch beten.«
Pfarrer Sopko aus dem Kalidorf Tiefenort ist nicht mit nach Bonn gefahren. »Obwohl ich mir vorstellen könnte, dort im schwarzen
Talar in der ersten Reihe zu marschieren«, sagte der Geistliche, als ich ihn in der vergangenen Woche besucht hatte. Doch
es hätte ihn niemand vom Betriebsrat angesprochen, und außerdem wären die Kumpels wohl mitschuldig an ihrem Unglück. »Denn
besonders mutig waren die nie. Als im Herbst 89 unsere Kirche überfüllt war, gingen die Kumpels noch lange nicht auf die Straße,
geschweige denn, dass sie mit ihren Bonzen abrechneten. Sie streikten auch nicht. Sie waren brav und warteten. Und als im
Nachbarort Dorndorf die Kaliumsulfatfabrik geschlossen wurde, da protestierte kein einziger Merkerser Kumpel. Im Gegenteil,
sie hofften, dass sie eine größere Überlebenschance haben würden, wenn Dorndorf dicht sei. Und heute, wo es den Merkersern
an den Kragen geht, schreiben die Kumpels aus der Nachbargrube Unterbreizbach einen offenen Brief, in dem sie die Schließung
von Merkers begrüßen. 40 Jahre haben wir in der DDR von Solidarität gepredigt, aber heute besitzen wir davon weniger als die
Eskimos auf Grönland.« Ich fragte den Pfarrer, ob er sich um die arbeitslosen Kalikumpels kümmert. Ja, er hätte sie in die
Kirche eingeladen. Aber es wäre niemand gekommen. »Man will die ›Schande‹ nicht noch öffentlich zugeben. Dabei benötigten
sie dringend Hilfe und Beistand.Im Nachbarort Kieselbach hat ein arbeitsloser Kumpel Selbstmord begangen …«
Man beginnt sich im Bus einzurichten. Lesen. Essen. Trinken. Dösen. Und der Fahrer erzählt von den Sehenswürdigkeiten in Bonn.
Gestört wird die Gemütlichkeit, als einer die neueste Ausgabe der IG-Bergbau-Erde-Zei tung »Einheit« herumreicht.
»Sollte besser ›Zwietracht‹ heißen, das Drecksblatt.« In einem Artikel beschuldigt man die Merkerser der Lüge und der Uneinsichtigkeit,
fordert sie auf, endlich der Fusion und der Schließung zuzustimmen.
Mein Nachbar mit der Hornbrille schweigt noch immer. Ich spreche
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