Urlaub fuer rote Engel
beim ostdeutschen Konkurrenten verantwortlich für die Gruben und Lagerstätten.
Und der Aufsichtsratsvorsitzende imOsten, ein gewisser Herr Steger, früher Wirtschaftsminister in Hessen. Und die der »Kali und Salz« verbundene »Consulting
GmbH« wurde mit der Bewertung von Produktivität und Effektivität der ostdeutschen Kaliwerke beauftragt. Folgerichtig kam auch
heraus: Senkung der Kaliproduktion in den neuen Bundesländern von 3,5 Millionen Tonnen 1988 auf, wie es im Fusionsvertrag
vereinbart wurde, 1,2 Millionen Tonnen. Und in den alten Bundesländern von 2,5 Millionen Tonnen auf 2 Millionen Tonnen. Und
zu den seit drei Jahren im Osten entlassenen rund 25.000 Kumpeln, in Merkers allein 6.000, sollen nun noch einmal 1.700 kommen.
Aber jetzt völlig paritätisch: 1.700 im Osten und 1.700 im Westen. Die im Osten werden in ein bis zwei Jahren auf der Straße
stehen, denen im Westen räumt man für die Schließung eine Schonfrist von fünf bis sieben Jahren ein. Damit ist der deutsch-deutsche
Kalikonkurrenzkrieg für die »Kali und Salz AG« und die BASF siegreich beendet.
Die ersten Bierflaschen und Taschenrutscher werden herumgereicht. In Reinhardshain lenkt Albrecht Hahnemann wie alle anderen
Fahrer den Bus auf den Rastplatz. Aber trotz der Buskarawane macht das Restaurant kein Geschäft, denn die Kalikumpels – unter
Tage gibt es keine Kantine – sind Selbstversorger. Sie packen ihre Brote aus. Immer sind sie so eingefahren, mit Brot und
Trinkflasche …
Drei Tage zuvor hatte ich mir für 35 Deutsche Mark das Privileg erkauft, das inzwischen für viele Merkerser Kalikumpels vergänglich
geworden ist: die Einfahrt in die Grube. Mit mir wollten eine Schulklasse, vier Franzosen,ein paar Bayern, ein Rentnerverein und zwei Polendeutsche aus Frankfurt/Main hinunter in das seit 1990 geöffnete größte Kali-Erlebnisbergwerk
der Welt. Treffpunkt zur Grubenfahrt im »Bergwerksstübl«. Die Deutschpolen erzählten dem Kassierer, einem ehemaligen Steiger,
stolz, dass sie 1950 als Ersatzdienst für die Armee in einer schlesischen Steinkohlegrube geschuftet hätten. »Jeden Tag schwarz
wie die Nacht.«
Kalibergbau ist weiß. Auch die Anzüge der zwei Steiger, die uns führten, waren weiß. Einer der Touristen stimmte »Der Steiger
kommt« an. Niemand sang mit. Die Steiger verkauften Ansichtskarten und Mineralien. Und Trinkflaschen der ehemaligen Kali-Kampfgruppe
für 9,90 DM. Ein dunkler Basaltstein aus 1.000 Meter Tiefe kostet 8 DM. Genauso viel wie das Aktivistenabzeichen. »Dafür musste
man allerdings einige Jahre lang ordentlich arbeiten«, sagte der Steiger. Ein Glas mit Halit für 15 DM. Einer der Bayern kaufte
eine Medaille »Bester Steiger« für 14,90 DM. »Die werde ich mir heute Nacht an den Schlafanzug heften, bevor ich zu meiner
Alten ins Bett steige!« Die beiden Obersteiger schauten irritiert auf die Spitzen ihrer schweren schweinsledernen Arbeitsschuhe.
Umziehen. Weiße Jacke. Helm auf. Geleucht an. Gemeinsamer Marsch zur Hängebühne. Davor zwei schon nicht mehr frische Fichtenkränze
mit schwarzen Schleifen. »War ein Unfall unten in der Grube?«, fragten die Schüler. Die Steiger antworteten nicht. Wir drängelten
uns in die Förderkörbe. Drei Anschläge und mit 12 Metern pro Sekunde abwärts in die Dunkelheit. Die Schüler kreischten. »Fetzt
mehr als auf der Geisterbahn in Geiselwind«,johlte einer. Der Steiger, der, wie er erzählte, 20 Jahre als Obersteiger in der Grube war, hielt das Grubenlicht mit beiden
Händen umfasst, so als bete er. Ein Ritual. Rot leuchtender beschützter Embryo. Unten auf der ersten Sohle angekommen, hängten
wir unsere Fahrmarken an die Tafel. »Gesprengt wird erst, wenn alle Fahrmarken wieder weg sind«, erklärte der Steiger. Ich
zählte die Marken. 71.
»Es sind 60 Touristen und 11 Kumpels unten«, sagte mir der Steiger so leise, dass es die Übrigen nicht hörten. Und früher?
»In jeder Schicht über 200 Kumpels.«
Wir fuhren die glatten weißen Steinsalzstraßen in zwei der offenen Mannschaftswagen bergauf und bergab. Zuerst in das Kali-Museum.
In einer Vitrine lag dort auch das Grubengeschäftsbuch aus der Kaiserzeit. In Schmuckschrift golden auf dem Titelblatt: »Mit
Gott!« Der Steiger witzelte: »Zuerst haben wir es mit Gott versucht, dann 40 Jahre mit Marx, schließlich zwei Jahre mit BRD-Wirtschaftsminister
Möllemann. Und der hat geschafft, was Gott und Marx nicht schafften …« Einer der
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