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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Kümmerling an Bord.« Beifall.
    Ein junger Mann kommt zu spät, sucht noch einen Platz, sagt: »Wenn nichts mehr frei ist, fahre ich eben runter zur Arbeit
     in unsere Grube.« Stille. Keiner lacht. Es ist 5.30 Uhr. Einfahrzeit. Mit Geleucht, Helm und Grubenrettungsmaske stehen sie
     sonst um diese Zeit auf der Hängebühne, warten auf einen der stählernen Käfigkörbe, der sie hinunterbefördert in die Tiefe
     der weißen Kaliwelt. Aber heute dreht sich nicht ein Rad. Keine Einfahrts-, dafür aber Abfahrtszeit. In mehr als 20 Bussen
     fahren 1.500 Kumpels aus dem südthüringischen Merkers und dem nordthüringischen Bischofferode nach Bonn.
    Am Abend zuvor hatte ich in Dermbach bei einem mir noch unbekannten Kalikumpel unangemeldet an der Tür geläutet. Eine Frau
     öffnete und guckte, als wolle sie im nächsten Moment die Tür wieder zuschlagen. Ich redete wie ein Wasserfall, bis der Mann
     gerufen wurdeund ich ihm erklären konnte, dass ich am Morgen mit nach Bonn möchte und ob ich, falls auch er mitwolle, bei ihm übernachten
     könne. »Das Kinderzimmer ist frei«, sagte er. Später bei Bier, Brot und Hausmacherwurst entschuldigte sich die Frau für den
     unfreundlichen Empfang. Doch es trieben sich jetzt überall Vertreter und anderes Gesindel herum.
    Der Mann, Franz Beier, wird im Juni 50 und ist dann 30 Jahre unten in der Grube. »Falls wir im Juni noch arbeiten. Ich bin
     zwar im Betriebsrat, hätte also was ahnen müssen, aber keiner von uns hat bis zur Fusion mit dem West-Kalikonzern geglaubt,
     dass unsere Grube in Merkers und die Fabrik dichtgemacht werden könnten. Erst noch die neue Granulatanlage in der Fabrik gebaut
     und in der Grube für Millionen Westmark neue Lüfter eingesetzt … Wahrscheinlich wollten sie uns damit nur täuschen und beruhigen,
     um ein Werk nach dem anderen in Thüringen schließen zu können.«
    Kurz nach vier weckt mich Franz Beier. Im alten Küchenherd brennt schon ein Holzfeuer. Die Frau hat meine Schuhe zum Anwärmen
     danebengestellt. Und auf dem Tisch liegen in Pergamentpapier eingewickelte Frühstücksbrote für mich. Halb fünf wird der Mann
     unruhig. Um diese Zeit rennt er sonst zum Zug. Gegessen und getrunken hat er nicht. »Den ersten Bissen gibt es immer erst
     unten in der Grube.«
    Wir nehmen noch einen Kumpel mit und fahren dann in Richtung Merkers. Kaum Verkehr. Erst als wir auf die Ausfallstraße nach
     Hessen kommen, blenden uns die Lichter einer schier endlosen Autoschlange. Alle fahren von Thüringen nach Hessen.
    Vor dem Merkerser Werktor finde ich mühsam in einem der Busse neben einem Mann mit einem blauen Anorak, dunklem Vollbart,
     brauner dicker Hornbrille noch einen freien Sitzplatz. Rechts von mir sitzt einer mit Pullover und grauem Bart und neben dem
     einer mit Schlips und Anzug im Fischgrätenmuster. Der Anzugmensch redet als Einziger laut wie ein Marktschreier, schimpft,
     dass »Honecker mein Geld in Chile verprasst« und dass »die Stasischweine immer noch nicht alle arbeitslos sind«. Von außen
     kleben Kumpels Spruchbänder an den Bus: »Unser Kali – Brot für die Welt und Arbeit für uns.«
    Abfahrt. Nach 100 Metern erzählt der Busfahrer den ersten Witz. »Also: Ein piekfeiner Mercedes-Busfahrer aus Kassel und ein
     ölverschmierter Ikarus-Busfahrer aus Eisenach stehen vor dem Himmelstor. Petrus lässt den Ikarusfahrer in den Himmel und schickt
     den Mercedes-Kutscher in die Hölle. Da schreit der aus Kassel: Dieses Dreckschwein aus dem Osten in den Himmel und weshalb
     ich in die Hölle? Da sagt Petrus: Weil du, mein Sohn, ja schon auf Erden den Himmel hattest.«
    Die ehemalige Grenze bei Vacha. Der alte Grenzwachturm ist inzwischen zur Litfaßsäule für die Spray-Gefechte linker und rechter
     Extremisten umfunktioniert worden. Der erste hessische Ort Philippsthal, das der »Kali und Salz AG« gehörende Kaliwerk Hattorf.
     Die Förderräder im Turm drehen sich.
    »Diese Verbrecher! Uns abmurksen, um selbst zu überleben!«, schreit der mit dem fischgrätengemusterten Anzug. Fäuste und Flüche
     überall im Bus. »Erst uns entlassen und danach unser Salz holen wollen!« – »Vonaußen schön lackiert, ihre Scheißfabrik, aber innen auch nur eine Rostbude, ich habe es selber gesehen!«
    Neben mir der mit der Hornbrille schweigt.
    Nach den Flüchen wird es sehr still im Bus. Nur das Radio dudelt. Es ist die Zeit, während der sie im Mannschaftswagen unter
     Tage dösend zu ihren Abbaustrecken fahren. Manche mehr als 10

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