Urlaub fuer rote Engel
die Politiker nach Suhl kommen. Egal ob sie die früher gehätschelte und heute wieder auf ihre
Grundlagen zurückgestufte Stadt lieben oder nicht. Kohl redet davon, dass er in zwei Stunden bereits vor der Frauenkirche
in Dresden sprechen wird. Nein, hier und heute erfahre ich nichts über Leben und Leute in Suhl. Ich radle los, damit ich eher
zu Hause bin, als Kohl in Dresden sein wird.
Beim zweiten Versuch, Suhl zu erkunden, gehe ich zu Fuß und gewissermaßen von hintenherum durch herrliche Wiesentäler und
über Bergeshöhen nach Suhl. Das heißt, ich schaffe es nur bis zum eingemeindeten Dorf Albrechts. Abseits der Verkehrsmagistralen
liegt es freundlich im Tal, wäre auch nach der Wende wohl fernab aller Sensationen geblieben, wenn da nicht jenes Werk gebaut
worden wäre, zu dem ich jetzt will. Außerhalb des Ortes auf einer Anhöhe versucht sich ein glasdurchsichtiger Industriebetrieb
in das Grün einzufügen. Architektonisch ist das fast gelungen. Und zur Einweihung vor gut zwei Jahren war auch der Ministerpräsident
hier. Er freute sich über das mit erheblichen Fördermitteln gebaute »modernste CD-Werk der Welt«. Danach jedoch geriet Unternehmer
Pilz in finanzielle Turbulenzen. DasLand übernahm das Werk, butterte Millionen hinein, wollte es Pilz nach der Gesundung wieder zurückgeben. Doch nun droht Konkurs
…
An der Pforte sagt mir der Pförtner, dass er erstens niemand von der Presse hereinlassen darf, außerdem wäre er nicht der
richtige Pförtner, sondern nur ein Freund des Pförtners. Der richtige sei mal austreten. Früher hätte auch er hier gearbeitet.
Teilzeitbeschäftigung. Aber nun … Nach einer Weile beteuert er, dass er weder für die PDS noch ein alter Kommunist sei, aber
damit ich es wisse: »Solange es um Schulden geht, haben wir hier immer noch Volkseigentum. Die Schulden-Millionen, die zahlen
nämlich Sie und ich mit unseren Steuern. Nur die Gewinne, die kassiert dann wieder der Herr Pilz.« – Der Herr Pilz sitzt inzwischen
übrigens wegen »Investitionsbetrug« in Untersuchungshaft.
Ich wandere nicht weiter in Richtung Domberg. Von Albrechts fahre ich mit dem Bus nach Suhl. Der Bus sieht so gut und so modern
aus wie das CD-Werk. Und am Taxistand in Suhl stehen jetzt die Taxis Schlange. Ich frage einen der Fahrer, was er einem Fremden
zeigen würde, damit der Suhl kennenlernt. »Zuerst das Schießsportgelände auf dem Friedberg. Den Tierpark in der Suhler Schweiz.
Das Hotel auf dem Ringberg. Die Sternwarte auf dem Hoheloh.«
»Und in der Stadt?«
»Vielleicht, wenn es ihn interessiert, das Grab von Herbert Roth, der hat das Rennsteiglied geschrieben. In der Stadt selber
…
Nee, da wird doch im Moment nur gebaut. Sind genug Geldleute aus dem Westen gekommen, die haben die Geschäfteaufgekauft und bauen sie nun neu. Wollen wir zufrieden sein, denn wer von unsereinem aus dem Osten kann heute schon im Stadtzentrum
ein großes Geschäft bauen.«
Vom Bahnhof laufe ich zum Markt. Auf dem Weg sehe ich rechts und links die letzten schönen alten Villen von Suhl. Die Villa
im italienischen Stil, früher gehörte sie dem Gewehrfabrikanten Sauer, später war sie das Johannes-R.-Becher-Klubhaus, heute
Vereinshaus. Das Rokokohaus des Gewehrhändlers Steigleder. Das Galeriegebäude, seinerzeit einem Weinhändler gehörend. Auch
Bauhausstil ist zu sehen. Das ehemalige Konsumkaufhaus wurde 1928 von dem Gropius-Schüler Karl Otto entworfen.
Auf dem Markt Stände mit holländischem Käse, Thüringer Wurst, alten DDR-Krimis, Blumen, Spreewaldgurken. Ein junger Mann mit
kohlrabenschwarzem gepflegtem Bart und Nickelbrille preist seine Gewürze an. Kommt aus dem bayerischen Rodach. Heißt Spielvogel.
Und hat unter den Hunderten Sorten auch einen »Original Suhler Tee« aus Wildschlehen. Er verkauft auch einen »Meininger Tee«,
der enthält das vornehmere Maracuja. Also die Tees, sagt er, die wären sein Beitrag zur deutschen Einheit. Und er hätte die
Sorten auch der Mentalität angepasst. Die Suhler seien etwas einfachere, um nicht zu sagen proletarischere Menschen. Die Meininger
dagegen schon feiner in ihrer Art. Und die würden, wenn er bei ihnen auf dem Meininger Markt handele, natürlich auf die alte
rote Stadt, in die zu Sozialismuszeiten alles hineingebuttert worden sei, fürchterlich schimpfen. Ich schaue hinüber zum rotgestrichenen
Rathaus. Dort steht er noch, der Spruch von der roten Stadtim grünen Wald. Mit goldenen
Weitere Kostenlose Bücher