Urlaub fuer rote Engel
Buchstaben. Aber nach der Wende hat die neue Stadtverwaltung vorsorglich noch die Jahreszahl
1920 hinzufügen lassen. Damit niemand etwas Falsches denken kann … »Allen hier in den neuen Bundesländern«, philosophiert
Gewürzhändler Spielvogel aus dem bayerischen Rodach, »ist gemein, dass sie noch sehr konservativ kochen. Dabei könnten die
Frauen, die in der DDR immer nur arbeiten mussten und nun zu Hause sind, nun auch neue Speisen und Gewürze ausprobieren.«
Und er preist sein »Wundergewürz Sasiki« an.
Gegenüber dem großen Verkaufswagen aus Rodach hat sich ein Mann ein paar Tische und Stiegen und einen Hocker hingestellt.
Bietet Lavendel an und Salbeipflanzen und Arnika in kleinen Töpfen. Roland Mägdefrau aus Schwarza. »Von gleich hier um die
Ecke, fast ein Suhler«, wie er sagt. Bauerndill empfiehlt er mir, selbst geerntet, und Äpfel aus dem eigenen Garten. Seine
Pflanzen stammten nicht aus dem Gewächshaus, die wären im Freiland abgehärtet. »Damit sie auch was werden, hier in den Berggärten.
Was nutzen uns die wunderbarsten blütenprächtigsten, hochgezüchteten Pflanzen aus Holland? Die gehen hier ein.« Er betreibe
die Gärtnerei nun schon seit 25 Jahren als Hobby. Von Beruf sei er Werkzeugmacher, Metaller. Und er sei vor der Wende und
danach auf eines stolz gewesen: auf seiner Hände Arbeit. Nur darauf. Die Suhler wären Arbeitstiere. »Deshalb brauchen wir
heute auch keinen toten Herzog wieder lebendig zu machen, um unsere Geschichte zu finden. Unsere Geschichte war immer die
Arbeit. Und ohne Arbeit haben wir keine Geschichte.«
Wenn ich wolle, könnten wir nach dem Markttag noch ein Bier in einer alten Kneipe trinken gehen. Hier in Suhl? Nein, da gäbe
es keine Arbeiterkneipe mehr, aber in Schwarza.
Mittlerweile ist es Freitag, 13 Uhr. Das Rathaus leert sich. Holger Uske, den Pressesprecher, treffe ich auf der Straße, er
will zum Friseur. Hat wenig Zeit. Ich frage ihn, wer die Baugenehmigung für das Betonkoloss-Einkaufscenter im Westen von Suhl
erteilt hat? Er will wissen, ob er als Pressesprecher Uske oder als der einfache Mensch und Bürger Uske antworten solle. Natürlich
sei es ein Schandfleck … aber nicht mehr feststellbar, wer die Genehmigung … Andererseits: die Arbeitsplätze, die künftigen
Steuergelder für das Stadtsäckel … Kapitalkräftige Investoren seien manchmal neue Diktatoren … Aber er müsse zum Friseur,
sonst wäre keine Zeit, nur freitagnachmittags.
Zum guten Ende möchte ich mir die Stadt noch von oben anschauen und laufe hinauf zur Sternwarte. Ein kleines Haus auf dem
Hoheloh. Daneben buckelt die Planetariumskuppel. Als Sternengucker vom Dienst arbeitet seit zwei Jahren der Astronomie-, Geographie-
und Deutschgymnasiallehrer Michael Rebhan in der 25 Jahre alten Sternwarte. Und freut sich, »was wir Suhler früher schon für
feine Dinge gebaut haben«. Natürlich nicht so viel auf einmal wie heutzutage. 40 Kräne ständen zur Zeit unten in der Stadt.
Schade, dass man die Stadt von hier oben aus nicht sehen könne. Aber es wäre eben eine Stern- und keine Stadtwarte. Doch die
herrliche Umgebung, die sei auch ohne Fernrohr zu erkennen. »Und in Suhl guckt man allemal besser aus der Stadt raus als indie Stadt rein!« Rebhan, der außerberuflich seit 30 Jahren der bekannteste Büttenredner des Suhler Carnevalsclubs ist, zeigt
mir die Sternwarte. Der Enkel des Vaters der Raumfahrt Ziolkowski sei schon hier gewesen, »und Siegmund Jähn, der erste deutsche
Kosmonaut aus der DDR«. Im Planetarium flimmert der Sternenhimmel auf. Leider oder Gott sei Dank wären hier noch keine multimedialen
computergesteuerten Licht-, Laser-, Sternenshows wie in vielen Planetarien der alten Bundesländer möglich. Er müsse noch ordentlich
mit eigener Stimme und vom Pult aus den Lauf der Sterne erklären, das Licht eigenhändig ein- und ausschalten. »Das ist wie
unten in der Stadt: Wir himmeln hier immer noch per Hand.«
Bevor es dunkel wird, gehen wir auf die Westseite der Sternwarte. Der Haselgrund mit jenem schrecklichen Betonklotz in Mäbendorf
ist von hier aus nicht zu sehen. Ein Berg dazwischen. Aber wunderschön sieht es aus, als die Sonne dort im Westen rot untergeht.
Das Innere der Glaskugel
Im Viertausend-Seelen-Städtchen Lauscha, nahe der bayerischen Grenze im Thüringer Schiefergebirge gelegen, kann man entweder
drunten im Tal ohne Anstrengung auf der Hauptstraße entlangspazieren oder muss die rechts
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