Urlaub fuer rote Engel
Müller
vergrößerten sichsehr schnell. Heute leben in Lauscha 350 Greiner- und 120 Müllerfamilien. Zur Unterscheidung wurden amtlich bestätigte Doppelnamen
eingeführt, und so entstanden die Greiner und Müller mit Zusätzen wie Hüpfer oder Bleifrosch, Spargelstange oder Mops. Die
Mutterhütte, in der die Meister und Gesellen vor allem Trinkgefäße herstellten, konnte schon bald all die Greiners und Müllers
nicht mehr ernähren. Notgedrungen begannen die Glasarbeiter zu Hause vor der Lampe, einem mit Rüböl oder Talg gespeisten Brenner,
zuerst Glasperlen, später Glasfiguren, künstliche Menschenaugen, Gefäße und Christbaumkugeln zu blasen. Verleger aus der Sonneberger
Kaufmannschaft vertrieben die Glasware und diktierten den Glasbläsern in Lauscha Preis, Form und Abnahmemenge. 1867 erhielt
die Stadt eine Gasanstalt, die Lampen konnten umgestellt werden, und Lauscha überschwemmte erst Deutschland, später auch Europa
und die USA mit Glasperlen und Christbaumschmuck. Erst nach 1945 erhielten die Lauschner im bayerischen Rosenheim Konkurrenz.
Dort hatte sich die aus Gablonz kommende Familie Krebs, Mutter und Sohn Helmut, niedergelassen und eine Christbaumschmuckfabrikation
gegründet, die sich bald bis nach Amerika ausbreitete. Heute werden bei Krebs in Rosenheim täglich rund 250.000 maschinengeblasene
Kugeln produziert und im Krebs-Werk Roswell in New Mexico etwa 150.000. In Lauscha vereinigten sich die Glasbläserfamilien
1959 zu einer Produktionsgenossenschaft. In den achtziger Jahren eroberten die Lauschaer den osteuropäischen und kapitalistischen
Markt auch mit billigem maschinengeblasenem Baumschmuck. Nach der Wende, die Preisewaren von den Lauschnern nun nicht mehr zu halten, und die Osteuropäer zahlten nicht, kamen mit den bundesdeutschen Kaufhausketten,
die sich den Markt der ehemaligen DDR aufgeteilt hatten, erstmals auch Krebs-Christbaumkugeln aus Rosenheim nach Ostdeutschland.
1991 verkaufte die Treuhand die Lauschaer Christbaumkugelproduktion an den Konkurrenten aus Rosenheim. Der stoppte erst einmal
die maschinengeblasene Kugelproduktion, denn die hatte er in Rosenheim selber, reduzierte von 1.200 Beschäftigten auf 160
und ließ eine neue Werkhalle bauen, in der vor allem die ehemaligen Heimarbeiter, nun nicht mehr unkontrollierbar zu Hause
für sich, sondern zusammen in einem Raum, mundgeblasenen und handbemalten Christbaumschmuck effektiver als früher herstellen:
hochwertigen, handwerklich und künstlerisch wertvollen Glasschmuck. In Lauscha bekam Krebs, was er in Rosenheim nicht hatte:
erfahrene Glasbläser, die ihre Kunst seit drei Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben haben.
Allerdings hörte mit der deutschen Vereinigung der bis dahin in der DDR geschätzte, in der alten Bundesrepublik aber längst
zu Grabe getragene Beruf des künstlerisch kreativen Glasbläsers formell zu existieren auf. Er stand nicht in der Anlage zur
bundesdeutschen Deutschen Handwerksordnung. Seitdem kämpfen die Lauschaer mit Hilfe von hiesigen Politikern darum, dass ihr
Beruf anerkannt wird und sie Glasbläser-Lehrlinge ausbilden dürfen.
Unten in der Farbglashütte, so verkündet es ein Schild, sind Glasbläser zu besichtigen. Für 1 D-Mark führt ein Kollege Reisegruppen
und Einzeltouristen durch die1853 gegründete Hütte. Zuerst historische Informationen, dann die Mitteilung, dass 1990 in der Hütte 120 Leute gearbeitet
hätten, mittlerweile wären es noch 40. Aber ein Investor aus Hongkong sei erschienen. »Wir hoffen, dass es aufwärtsgeht.«
Danach die schriftliche Ermahnung: »Für Verbrennungen bzw. Verletzungen aufgrund von Nichtbeachten der Hinweise übernehmen
wir keine Haftung!«
Mit mir streunen noch sechs Besucher durch die Hütte. Bestaunen die Glutmäuler des Ofens. Davor die Glasbläser. Mit ihren
langen Pfeifen tauchen sie in das rotglühende flüssige Glas ein, balancieren die Tropfen, blasen sie zu durchsichtigen Gebilden
auf. Oder sie erhitzen die 30 Pfund schweren Glaskörper, nehmen die glühenden Gebilde zu zweit auf die Pfeifen und ziehen
sie rennend und blasend zu zehn oder zwanzig Meter langen oder noch längeren Glasröhren auseinander. Andere blasen das Glas
in einer Form auf, die ein junger Mann, Pferdeschwanz und Ring im Ohr, mit den Händen zusammenhält, während das Glas, glühend
und rauchend, in der Form die Gestalt einer Wasserpfeife annimmt. Die Besucher fotografieren die schwitzenden
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