Urlaub fuer rote Engel
hätte sie die Röteln.
(Als die meisten der Bundestagsabgeordneten das deutsch-völkische Kunstdenkmal im Vorraum des Bundestages säckchenweise mit
Erde ihrer Heimatorte füllten, schüttete Jüttemann den roten Rückstand der Abraumhalde zu einem Totenkreuz. Und niemand hat
dieses Kreuz bisher zerstört!) Im Schaukasten vor dem Gemeindebüro von Bischofferode hängt noch das Faschingsmotto: »Rinderwahn
und BSE tun uns Narren gar nicht weh.« Daneben ein Zeitungsfoto, Ministerpräsident Bernhard Vogel wird links- und rechtsseitig
von Karnevalsprinzessinnen geküsst. Vorn im Gemeindeamt regiert – »videoüberwacht« – die Bank, hinten Bürgermeister Helmut
Senger, ehrenamtlich. Ein dunkler Lockenkopf, graue Strickjacke über grauem Schlips auf braunem Hemd, dazu eine grüne Manchesterhose.
Kräftige Schlosserhände. Sehr kurz geschnittene Fingernägel,aber das Schwarze hat sich in die Fingerkuppen hineingefressen. »Zeichen der Arbeit, das kriegste nicht weg. Will ich auch
nicht«, sagt der ehemalige Hauptmechaniker.
Ich frage ihn, weshalb er als Kirchenvorständler und Kleinunternehmer für die PDS kandidierte.
»Weil der Jüttemann mich jeden Sonntag nach dem Kirchgang agitiert hat, dass ich nicht nur reden, sondern auch was tun soll.«
Und es gab viel zu tun in Bischofferode: Nach der Schließung der Grube kaum noch Steuereinnahmen. Der Ort schon damals millionenschwer
verschuldet. Jeder Einwohner mit rund 2.000 DM. »Ich habe die Bank zwar im Haus, aber die geben uns zur Zeit keinen Pfennig
mehr. Und wenn die Kommune jetzt für das vom Land wegen der Grubenschließung versprochene und geförderte Gewerbegebiet 10
Prozent Eigenmittel nachträglich bezahlen muss – für Bischofferode und Holungen je 1,2 Millionen DM –, können wir den Laden
gleich zumachen. Was nutzt das Gewerbegebiet, wenn wir eines Tages nicht einmal mehr das Geld haben, um dort nachts die neuen
Straßenlaternen anzuzünden? Nicht die 600, die aus Bischofferode fortzogen, sind beschissen dran, sondern die Leute, die bleiben
müssen, die nicht gehen können, weil sie hier Haus und Hof haben.«
Zum Beispiel Meinolf Glan (52), 17 Jahre Lok- und Großgerätefahrer unter Tage, dann »Schonplatz« im Versand, weil das Kreuz
kaputt war. Glan ist Haus- und Hofbesitzer in Holungen. Nach seiner Entlassung Umschulung zum Ökoservice-Techniker. »Hört
sich gut an: Ökoservice-Techniker! Habe nun Zeugnisse für Motorsägen, Baumschnitt, Rasenmähen … aber die Firma leiderkeine Aufträge.« Wieder arbeitslos. Danach ABM. Wanderhütten und Wege bauen. Danach wieder arbeitslos. Danach Hauswart in
einer Rinderaufzuchtanlage, aber nur für kurze Zeit. Danach seit 1999 wieder arbeitslos.
Meinolf Glan schaut mich ernst und traurig an, aber wegen seiner Zahnlücke sieht er trotzdem lustig aus. Er zeigt mir sein
Haus, den alten Bauernhof, die Scheune mit Heu. Drei Schafe, Heidschnucken. Selbstgebaute Holzleitern hängen am Schuppen.
Ordentlich gestapelte Brennholzscheite. Und dann geht er mit mir, er zögert wie vor dem Betreten eines Friedhofes, in seinen
Garten. In einen großen Garten mit Obstbäumen. »Ein verdammt großer Garten«, stöhnt er. Fast bis zum Gartenzaun führt ein
neuer Weg, das heißt die Wendeschleife für die neuen Villen. Am Anfang dieses Weges steht das Haus des Gerichtsvollziehers.
»Und für diesen Weg, den ich nicht brauche, den ich nicht will und der meinen Gartenzaun nicht einmal berührt, nicht einmal
an ihm langgeht, sondern nur vor ihm endet, soll ich nachträglich 35.000 DM für den Straßenbau bezahlen. Aber woher nehmen?«
Er hat drei Kinder – »Gott sei Dank nur Jungens, die sind billiger als Mädchen«. Der Große hat Koch gelernt und geht, weil
er im Eichsfeld keine Arbeit findet, in die Schweiz. Der Mittlere wird Maler, aber vom Ausbildungsbetrieb nicht übernommen.
Also muss er sich einen Job im Westen suchen. Und der Kleinste ist Schüler. »Noch haben wir das Geld, damit der Kleine wenigstens
die Klassenfahrten mitmachen kann und nicht benachteiligt und ausgelacht wird. Spaßbad oder mal gemeinsam essen gehen oder
mal ein Rockkonzert besuchen,das können wir ihm nicht bieten. Das ist unbezahlbar für uns. Aber mal essen gehen, mal Spaßbad, mal ein Konzert, das gehört
doch heute schon zum Alltag. Nicht mal für den Alltag reicht es! Armut heißt doch nicht: Du musst hungern, die Lebensmittel
im Supermarkt sind billig, aber …«
Als ich mich
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