Urlaub fuer rote Engel
verabschiedet habe, kehrt er vor seiner Haustür das Konfetti vom Faschingstreiben auf. Er ist, obwohl die Holunger
den Karneval ausgelassen feiern, in diesem Jahr nicht hingegangen.
»Und die Politikerreden heute zum Aschermittwoch?«
Er schüttelt den Kopf. »Die lachen doch nur über uns, und sie lachen auf unsere Kosten.«
Als ich hinter Holungen die Höhe hinauffahre, ist aller Schnee auf der Halde getaut. Das elefantenhäutig zerfurchte Mahnmal
des Eichsfelder Kalibergbaus leuchtet wieder rotbraun.
Wir himmeln hier per Hand
Wahrscheinlich war mein erster Versuch, die Stadt Suhl zu erkunden, der ungeeignetste. Ich hatte in der Lokalpresse gelesen,
dass wegen des nachmittäglichen Kohl-Besuchs bereits ab frühmorgens die großen Parkplätze im Stadtzentrum gesperrt wären.
Und ich beschloss, an diesem Kanzlertag von meinem Heimatdorf Dietzhausen lieber mit dem Fahrrad bis in die Stadt zu fahren.
In die ehemalige südthüringische Bezirksstadt, an deren Rathaus in großen Lettern steht: »Im grünem Wald die rote Stadt, die
ein zerschossen Rathaus hat.«
Grün ist das Land nicht mehr. Herbstbunt das Laub zwischen den Fichtenwäldern rings um Suhl herum und goldgesträhnt die Birken
auf den Bergweiden. Tourismuslandschaft.
Der neue Radweg endet vor Mäbendorf, einem idyllischen kleinen Ort, der Suhl bereits 1979 zugeschlagen worden ist. Ich bewundere
in Gedanken die kleine Fachwerkkirche des Dorfes zu lange, denn urplötzlich ist die Straße verschlammt, drängeln sich Laster
zwischen Baucontainern, und ich falle vor einem fußballfeldgroßen Betonbauwerk in den Dreck. Ein Schild davor verkündet den
Aufschwung Ost mit 6.100 plus 1.500 Quadratmetern Verkaufsfläche und 820 Parkplätzen. Gegen diesen hässlichen Koloss – solch
massiven fensterlosen Betonklotz sah ich bisher in keinem Bundesland – sind die Opel-Hallen in Eisenach architektonische Meisterleistungen.
Außerdem wird dort produziert. Nein, denke ich, nur nicht aus westlicher Richtung in die – so preistsie das Fremdenverkehrsamt – »Tourismushauptstadt Südthüringens« hineinfahren. Das nächste Gebäude ist ein neues »japanisches«
Autohaus. Gegenüber stehen die teilweise verlassenen und verfallenen alten Fabriken des ehemaligen Suhler Fahrzeug- und Jagdwaffenwerks.
Gewehre und Mopeds »Made in GDR« haben Suhl in aller Welt bekanntgemacht. Vor dem Werktor säubere ich mir die Hose. Einen
Arbeiter frage ich, wie es drinnen läuft. Sie wären nicht einmal mehr ein Drittel der früheren Belegschaft. Aber Postminister
Pötsch hätte versprochen, dass er das neue Elektroauto und Roller in Suhl bestellen würde. »Ich selber habe in der Jagdwaffe
gearbeitet, jetzt reiße ich als ein ABMler unseren Betrieb, die alte Hähnel-Gewehrfabrik, mit ab.«
»Und wenn die abgerissen ist?«
»Dann werde ich vielleicht an der Autobahn mitbauen können. Genau hier, über das gesamte Betriebsgelände, über die Straße
und die Häuser hinweg, wird eine kilometerlange Autobahnbrücke errichtet.«
Wanderer, nähere dich dieser Stadt nicht von Westen her …
An der Hauptstraße grüßen von fast allen Lampenmasten die Konterfeis der Wahlkandidaten. Unten auf der Erde die PDS-Leute,
obendrüber – sich gewissermaßen daraufstellend – die SPD-Poträts. CDU-Minister präsident Vogel hängt allein und ziemlich weit oben und schwindelt: »Es gibt keine Alternative.« Krempelt sich die Ärmel hoch, und
ich als Fahrradfahrer (die schnellen Autofahrer sehen das nicht) erkenne auf seiner Uhr sogar die Zeit, zu der er sich die
Ärmel hochgekrempelt hat. Halb sechs Uhr. Morgens? Nachmittags?
Jetzt ist es kurz nach 4 Uhr nachmittags. Um 5 soll Kohl kommen. Durch das Eisenbahnviadukt – 1884 erhielten die Suhler, vor
allem die Waffenproduzenten, endlich den Eisenbahnanschluss an Europa – fahre ich zum zentralen Platz der deutschen Einheit.
Doch davor stoppen mich Polizisten. In die vorüberhuschenden Wagen schauen sie nur flüchtig hinein, mich halten sie an. Kontrollieren
meine Tasche. Radler sind heutzutage, kurz vor dem Autobahnbau, in jeder Beziehung verdächtig.
Absperrungsgitter vor der Rednertribüne. Oberhalb des Platzes stehen sieben Mannschaftswagen der Sicherheitskräfte. Viele
der »Unauffälligen« in Zivil schauen weg, wenn ich sie grüße. Ich kenne sie von früher. Ein junger, dynamischer CDU-Ordner
mit Schlips und im rotsamtenen Sakko hindert Bauarbeiter, mit ihren Protestplakaten und ihren
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