Urlaub fuer rote Engel
nach der Wende ausprobiert. »Zu DDR-Zeiten waren
meine Frau und ich als Heimarbeiter sozusagen Arbeitnehmer im VEB Christbaumschmuck. Selbständige Glasbläser wurden nicht
mehr zugelassen. Wir bekamen das Material vom Betrieb, die Muster, naja, und ’s Geld. Wenig genug. Wenn ich auf 600 Mark kommen
wollte, mussten wir am Tag schon unsere 500 Kugeln abliefern, Arbeitszeit bis in die Nacht. Und kreativ sein, was Eigenes
ausprobieren konntste auch nicht … Nach der Wende haben wir uns dann gesagt: Wenn schon Tag und Nacht arbeiten, dann wenigstens
für uns! Und sind eben unsere eigenen Unternehmer geworden. Vorerst Christbaumschmuckproduzenten ohne Kunden! Dann kamen die
ersten Käufer, auch Wessis, die glaubten, hier noch was besonders billig abzustauben, aber wir haben die Kugeln nicht billig
abgegeben, auch als wir kaum noch ’ne Markin der Tasche hatten. Die Käufer kamen im nächsten Jahr trotzdem wieder.«
Urlaub hätten sie seit fünf Jahren noch keinen machen können. Seine Frau lächelt. »Wir träumen davon, das ist eine schöne
Vorfreude. Es geht von Jahr zu Jahr besser.« Walter Hähnlein sucht im Glasscherbenhaufen nach einer schon verspiegelten zerbrochenen
Glaskugel. Findet keine. »Sonst hätte ich Ihnen die zwei Seiten der bemalten Glaskugel gezeigt: außen glänzend, aber wenn
man reinschaut …«
Bevor ich gehe, sagt er, dass die alten DDR-Chefs des Christbaumschmuckbetriebs wohl keinen Arsch in der Hose hatten, die
Sache hier selbst zu übernehmen. »Die kannten die Kunden in aller Welt, hatten die besten Glasbläser weit und breit, aber
nee, haben abgewartet, bis der Krebs, der Konkurrent aus Rosenheim, sie kauft und sie nun dort schön strammstehen, Geld verdienen,
aber das Risiko nicht tragen müssen. Und der Krebs, der schaffte sich nicht nur den unliebsamen Ostkonkurrenten vom Halse,
der erhielt Hunderte hervorragend ausgebildeter Glasbläser, wie es sie in Bayern kaum noch gibt. Der Krebs produziert in der
neuen Halle mundgeblasenen und handbemalten Lauschaer Christbaumschmuck. Sieht übrigens gut aus, ordentliche Qualität, das
muss man ihm lassen.« Allerdings würde es zum Himmel schreien, wie er die Leute ausnutze. Ramona, er zeigt auf die unentwegt
Eiskugeln bemalende blonde Frau, hätte bei Krebs gearbeitet. Nicht mal 10 Mark brutto in der Stunde. Und Überstunden und Sonnabendarbeit.
»Ich habe dann ein Kind bekommen, ein Jahr Erziehungsurlaub,anschließend die Kündigung«, ergänzt sie, und beide reden nicht gut von diesem Wessi.
Einen Tag später empfängt mich Michael Krebs.
Ein freundliches, offenes Kindergesicht. Drei künstliche Tannen stehen in dem kleinen Besucherzimmer, in dem wir uns gegenübersitzen.
Sie sind so dicht mit gläsernen Trompeten, Mickymäusen, Nikoläusen an Fallschirmen, orientalischen Märchenfiguren und traditionellen
Kugeln geschmückt, dass kaum noch Nadeln zu sehen sind. »Wir haben rund 4.000 verschiedene Serien produziert.« Er sagt es
stolz, erzählt, dass er in Bayern sehr erfolgreich in der Autobranche tätig gewesen sei, nie in den Osten wollte. »Einmal,
weil ich zuvor keinen Gedanken an die Einheit verschwendet habe, die Grenze war für mich so unverrückbar wie die zu Frankreich,
und zum Zweiten lernte ich im Herbst 89 die ersten Leute aus der DDR kennen. Das waren welche, die über Ungarn geflohen waren.
Ich stellte sie in meiner Autobude ein, aber die glaubten immer noch ans Paradies Westen, und von Arbeit hielten die nicht
viel.«
Ich unterbreche ihn und sage, dass man in Lauscha vom Unternehmer Krebs aus Rosenheim erzählt, dass er hier endlich seinen
einzigen ernsthaften Konkurrenten geschluckt hätte und obendrein die Leute für Billiglöhne arbeiten ließe. Er ist verwirrt,
das hätte ihm noch niemand gesagt, ich sei der Erste. Und dann versucht er zu erklären, dass die Lauschaer eigentlich keine
Konkurrenz für die Firma seines Vaters gewesen wären. »Die Regierung schützte unsere Produktion vor dem Billigangebot aus
Lauscha mit Einfuhrbeschränkungen. Die durften nämlich nur für soundso viel Millionen Mark Christbaumschmuckin den Westen Deutschlands liefern, kein Stück mehr. Das war damals politisch nötig, um unseren Markt in der Auseinandersetzung
der Systeme zu schützen.« (Hier sei eingefügt, dass Krebs seine Rosenheimer Christbaumkugeln schon 1990 mit den SB-Ketten
der Handelskonzerne auf dem ungeschützten Ostmarkt verkaufte. Die »Frankfurter
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