Urlaub fuer rote Engel
Enteignung im Osten. Von der noch keiner spricht. Und die es wissen, sollen den noch Ahnungslosen helfen.
Das tue ich.«
An ihrer Wohnungstür hängt ein Spruch von Elie Wiesel. »Der Gegensatz von Liebe ist nicht Hass, der Gegensatz von Hoffnung
ist nicht Verzweiflung, der Gegensatz von Erinnerung heißt nicht Vergessen, sondern es ist nichts anderes als jedes Mal die
Gleichgültigkeit.«
Ich sage: Vielleicht hätte ich nur das über unser Gespräch aufzuschreiben brauchen. Sie nickt.
Hayde-Nina Klonz, 39, früher Modedesignerin, heute Sozialarbeiterin, parteilos und erste Nachrückerin für die PDS im Stadtparlament,
wohnt zur Zeit mit Mann und Kind in einem kleinen Dietzhäuser Hotel. Ihr Mann, früher Forschungsingenieur, heute Bauunternehmer
mit rund 50 Beschäftigten, baut das Familienhaus in Suhl um. Die Hayde-Kleider waren vor der Wende begehrt, hingen in Galerien
und Modehäusern. »Danach kam die Zeit, in der die Frauen, für die ich meine Kleider immer gemacht hatte, die Unikate nicht
mehr kaufen konnten. Otto-Versand war nun ihre Preisklasse. Doch im Westen verkaufte ich gut. Zum Beispiel an die Freifrau
von Greilsheim. Aber die Kunden drüben wollten nicht nur die Kleider, die saugten einen aus, man kam völlig leer zurück. Als
Designer aus dem Osten war man eine Seltenheit, so was konnte nicht jeder vorweisen … Damals habe ich mir gesagt: Das kann
es doch wohl nicht sein, müsstest hier den Leuten helfen, stattdessen spielst du drüben den bunten Vogel. Also habe ich aufgehört
mitder Mode und hier die ersten Selbsthilfegruppen gegründet. Ich habe mit Versehrten, mit Kindern, mit Arbeitslosen, mit Frauen
und auch mit Häftlingen gemalt.«
Jeden Dienstag geht sie durch das Tor der Haftanstalt in Suhl-Goldlauter. Und regelmäßig malte und modellierte sie auch mit
Versehrten im Reha-Zentrum. »Das ist allerdings vorbei, denn die neue Leitung war der Meinung, malen sei verplemperte Zeit.
Die Behinderten sollten nur noch effektive, wirtschaftlich verkaufbare Arbeiten erledigen.«
Ich will wissen, weshalb sie für die PDS kandidierte. »Weil diese Gesellschaft nicht durch malende Selbsthilfegruppen sozial
gerechter wird. Diese Gerechtigkeit kann man nur durch neue Verordnungen im Parlament schaffen, also wollte ich da rein.«
Hayde, die kurzhaarige blonde Schöne – »von Natur aus bin ich schwarz, aber ich hatte sie auch schon rot und grün gefärbt«
–, trägt ein derbes Leinenjäckchen. Selber entworfen und genäht? Nein, sie hätte es billig erstanden, für 17 Mark. »Ich muss
das Geld jetzt zusammenhalten. Schließlich hat mein Mann die Verantwortung für Brot und Lohn von 50 Leuten.«
Ich suche die Leonhard-Frank-Straße 122, in der Helmut Knoth, der Chef der Volkssolidarität, wohnen soll. Frage zwei alte
Leutchen, die vor ihrem kleinen, mit Asbestschindeln verkleideten Haus am Haselfluss sitzen. Gleich um die Ecke, sagen sie
und schwärmen von ihrem Helmut. Sie wären schon mit ihm in Italien gewesen und in Holland. »Neulich hat er sogar eine Busfahrt
auf die Lange Bahn organisiert, eine Ausflugsgaststätte hier ganz in der Nähe.« Das sei schwierig gewesen, man brauchteeine Busfahr-Erlaubnis für die Forstwege. Früher wären sie beide fast jeden Sonntag rauf zur Langen Bahn, aber nun, die Beine,
sie wären schon über 80. »Fritz Hoffmann, Klempner bei Simson gewesen, meine Frau im Materiallager.« Und vor über 20 Jahren,
zur Grundsteinlegung der Langen Bahn, hätte er die Kupferschatulle gefertigt. »Vielleicht war’s nun das letzte Mal, dass wir
rauf sind. 80 Leute waren wir.«
Nein, sagen sie auf meine Frage, es störe sie überhaupt nicht, dass der Knoth früher ein hohes Tier bei der Polizei und in
der SED gewesen sei und heute PDS. »Er ist doch einer von uns, obwohl meine Frau und ich nur in der Gewerkschaft waren. Der
organisiert für uns einmal im Monat die Rentner-Geburtstagsfeiern, spielt manchmal selbst auf seinem Zerrwanst. Das ist noch
wie früher, da weiß unsereiner Bescheid … Naja, und manchmal verteilt er im Bus auch seine PDS-Wahlschriften. Da klatschen
manche wie verrückt. Andere nehmen das Zeug nicht. Wir nehmen’s und lesen’s nicht.«
Helmut Knoth erzählt mir, dass er 1988 bei der Polizei raus sei. Und da hätte er ehrenamtlich die Volkssolidarität übernommen.
Nie hätte er die Stunden, die Mühen gezählt … Aber von den 1.000 Leuten im Wohngebiet wären nun immer noch 250 in der
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