Urlaub fuer rote Engel
Volkssolidarität,
20 Helferinnen würden sich täglich um die Kranken und Alten kümmern. »Sozusagen ein Stück von der DDR in die neue Zeit hinübergerettet.«
Natürlich sei er staatsnah gewesen. »Aber es waren schon damals die Staatsnahen, die nach Feierabend unentgeltlich Schulzimmer
malerten, Kuchen für Wohngebietsfeste gebacken haben und die Lampions für den Kindertag besorgten. Und wennman diese ›Staatstragenden‹ heute nicht ausgrenzen würde, könnte man ihre Erfahrungen und ihren Idealismus wieder nutzen.
Viele von denen, die nach der Wende was zu sagen haben, machten früher für die Gemeinschaft keinen Finger krumm und tun es
heute wieder nicht. Haben keinen Sinn dafür, tragen den Staat nicht, sondern nutzen ihn nur für sich aus. Wenn ich für 80
alte Leute einen Ausflug zur Langen Bahn organisiere, will ich doch nichts gegen die Gesellschaft tun, im Gegenteil, ich helfe,
dass die Menschen zufriedener sind, dass ihr Leben in der neuen Gesellschaft angenehmer wird. Bin sozusagen staatstragend
und werde wie andere früher Staatsnahe, die jetzt meinetwegen Arbeitslosen oder Rentenantragsstellern helfen, ausgegrenzt.
Das ist doch eine große Dummheit.« Helmut Knoth ist jetzt bald 65 und, seit er nicht mehr bei der Polizei arbeitet, Invalidenrentner.
Else Duske, eine von der PDS, die jeden Dienstag Rentner beim Ausfüllen der Anträge berät, besuche ich nicht. Rufe an. Sie
weigert sich, mir darüber auch nur ein Wort zu sagen. Es gäbe einen bösen Brief von der Bundesversicherungsanstalt, die mit
Strafe, Verbot und Gericht drohe, falls man nicht sofort aufhöre, das zu tun, was allein Sache der BVA wäre. Nein, kein Wort.
Ich müsste schon die Thüringer Parteivorsitzende anrufen oder wenigstens den Stadtvorsitzenden. Nun geht’s also doch nicht,
wie Barbara Brenner riet, unten weiter. Nur noch oben. Doch von denen erreiche ich niemanden. Urlaubszeit.
Ein letztes Mal Besuch im sechzigäugigen Hochhaus Nr. 106. Ich klingle bei Elfriede Keyser. Eine sorgfältig gekleidete, noch
rüstige Frau. Sie kennt mich aus derZeitung. Sagt: »Sie sind doch auch ein Linker.« Sie dagegen wäre schon immer rechts gewesen wegen ihres christlichen Glaubens.
Aufgewachsen in Weimar. Der Vater Besitzer einer Buchbinderfirma. Die sei von den Kommunisten beschlagnahmt worden. »So was
vergisst man nicht.« Ich frage sie, ob es stimmt, dass Barbara Brenner jeden Abend nach ihr schaut, sich um sie sorgt. »Ja,
Frau Barbara, ich nenne sie Frau Barbara, ist ein Teil meines Lebens geworden. Seit dem Tod meines Mannes lag immer zu Ostern
und Weihnachten ein selbstgemachtes Geschenk von Frau Barbara vor meiner Tür. Später hat sie alle meine Vollmachten bekommen,
für die Rente und für das Konto. Die Verwandten kümmern sich nicht mehr um mich, nur Frau Barbara.«
Ich frage vorsichtig nach der neuen PDS-Stadträtin Barbara Brenner. Fast emotionslos sagt sie, dass sie es nicht verstehen
könne, schließlich sei Frau Barbara katholisch und stamme aus einer Arztfamilie. »Und trotzdem eine Rote. Wissen Sie, ich
brauche Frau Barbara, ich kann es mir nicht vorstellen, dass sie eines Abends nicht mehr kommt und fragt, wie es mir geht.
Früher haben wir uns immer umarmt. Jeden Abend. Aber seit der Sache mit der PDS kann ich sie nicht mehr umarmen. Ich warte
auf sie, aber ich kann sie nicht mehr umarmen. Es ist ein Berg zwischen uns. Seitdem. Aber immer warte ich auf sie. Und immer
kommt sie.«
Anschaffen im Osten
An der Rückscheibe des weißen Cabriolets von Heidi F. steht: »Ich gehe nicht fremd. Alle kommen zu mir.« Ihr gepachtetes großes
Haus – vorn weiße Villa mit Garten und bunten Zwergen, hinten fränkischer Bauernhof mit Stall und Scheune – steht außerhalb
des thüringischen Dorfes S. zwischen den Glücksbrunner Spatgruben, die nach der Vereinigung stillgelegt wurden. Die stabilen
hölzernen Fensterläden zur Straßenseite sind Tag und Nacht verschlossen.
Ich habe für meinen Besuch Kuchen gekauft. Kaffeetrinken ist unverfänglich, denke ich. Im sonnigen Hof räkelt sich eine junge,
nur mit BH und Stringtanga bekleidete Frau auf einer Liege. Colabüchse und Handy neben sich. Heidi, die Chefin, käme in wenigen
Minuten zurück, sagt sie. Aber wenn ich mit ihr … Sie bringt den Kuchen ins Haus. Zieht Netzstrümpfe über den Slip. Später,
als wir erstaunt feststellen, dass wir in nur fünf Kilometer voneinander entfernten Dörfern wohnen, erzählt mir
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