Urlaub fuer rote Engel
Ramona von
ihrem Job, ohne dass ich sie fragen muss. Sie ist 19 Jahre alt. Ein Kind. Unverheiratet. Ausgelernte Bankkauffrau. Zur Zeit
Erziehungsurlaub. Den zweijährigen Marco betreut die Oma. »Wenn er im Kindergartenalter ist, höre ich hier auf, arbeite wieder
bei der Bank.« Bis dahin müsste sie allerdings anschaffen gehen, denn von »dem miesen Ostgehalt kann ich dem Kind und mir
keine anständige Existenz aufbauen«. Am Anfang sei es ihr leichtgefallen, mit Fremden zu schlafen. »Da blieb ich cool, aber
inzwischen habe ich öfters meinenMoralischen, einmal musste ich mittendrin heulen.« Im Dorf und in der Bank wüsste keiner, womit sie sich ihre Möbel verdient.
»Sonst würde ich zu Hause Spießruten laufen.«
»Und wenn einer der Herren aus der Bank als Kunde reinkommt?«
»Falls er verheiratet ist, und das sind die meisten Kunden, wird er die Klappe halten.«
»Und wenn nicht?«
»Tja, dann ist es eben aus mit der Bankfrau, und ich mache hier weiter.« Ein wuschliger kleiner Terrier kläfft, beißt und
zerrt an ihren Pantoffeln. »Er gehört der Chefin, soll mal ein Kampfhund werden.« Der wäre nötig. Nachts ständen manchmal
Besoffene im Hof und grölten: »Kommt raus, ihr Nutten.«
Ihre Kunden? Geschäftsleute. Beamte. Sich langweilende, besser verdienende Arbeitslose auch. Viele Westler, weil es im Osten
noch billiger sei. Ich frage nach Potenzunterschieden zwischen den Ost- und Westmännern. »Habe ich noch keine bemerkt. Doch
die Ossis sind zuvor schüchtern, aber danach reden sie über berufliche und persönliche Probleme, als ob man sich schon jahrelang
kennt. Die Wessis dagegen geben sich vorher selbstbewusst und weltmännisch, und hinterher knöpfen sie den Hemdkragen zu oder
binden die Krawatte, und alles ist wieder verschlossen.« Außerdem wollten die nicht, wie die Hiesigen, bloß mal bumsen. Die
meisten wären schon überreizt, für die müsste man sich immer was Neues einfallen lassen, mal im Whirlpool, mal an der Sprossenwand
…
Heidi F. begrüßt überschwänglich ihren Hund, dannzeigt sie mir das Haus. Liebesschaukel, Sauna, Spielwiese, ringsum Spiegel, spanische Wände, Videogeräte in den sauberen kleinen
Schlafzimmern. Und unten ein mit Stuck verzierter großer herrschaftlicher Salon. »Doch in der Küche lässt es sich besser reden«,
sagt Heidi. Sie ist 51, trägt Jeans, wenig großkalibrigen Schmuck, hat lustige braune Augen und Übergewicht. »Seit ich im
Osten bin, habe ich mir 20 Kilo Sorgenspeck angefressen.«
In der Küche steht schmutziges Geschirr. Ein »Küchendienstplan« hängt zwar an der Wand, aber an den hätten sich die Mädchen
nicht gehalten. »Wissen Sie, die Ostmädchen, die kennen anscheinend weder Strom- noch Wasserpreise, von wegen mal sparen …«
Ramona, frisch geduscht, kocht unaufgefordert Kaffee, holt den Kuchen aus dem Kühlschrank und setzt sich zu uns an den Küchentisch.
»Wie in einer Familie«, sage ich. Im Moment wäre es wirklich so, bestätigt Heidi. Der Hund, ihr Freund, sie und Ramona. Mehr
nicht. Noch vor einem Jahr hätten vier Mädchen hier gewohnt.
»Läuft das Geschäft nicht mehr?«
»Das Geschäft läuft, aber es fehlt an deutschen Mädchen. Ausländerinnen nehme ich hier keine …« Und nach einer Besinnungspause:
»Ich hatte mir das Anschaffen im Osten leichter vorgestellt.«
Heidi F. ist kein heuriger Hase in der Branche. Vor knapp 30 Jahren wechselte sie vom gutbürgerlichen Leben zur Prostitution.
Damals arbeitete ihr Vater noch auf der Hardthöhe in Bonn. Sie hatte Modistin gelernt, eine Tochter bekommen, eine Karriere
vor sich. »Aber ich wollte allein und ganz anders … In Frankfurt war ich damals eine von den wenigen Nutten, die ohne Zuhälteranschafften, habe ordentlich verdient, bis ich was Eigenes aufmachen konnte. Club und Sauna. Bevor ich, entgegen den Warnungen
aller Freunde, 1992 doch in den Osten gegangen bin, hatte ich in Hannover ein Haus mit 10 Zimmern und 8 Mädchen.
Zuerst wollte ich es in Dessau, einer ostdeutschen Garnisonsstadt, versuchen, aber dort waren früher russische Soldaten stationiert,
und nach deren Abzug kam die russische Mafia. Später fand ich hier, mitten in der unschuldigen Natur, diese Traumvilla. Der
vorherige Pächter hatte im Haus einen sogenannten »Club« aufgemacht – Bordelle sind in Thüringer Städten unter 50.000 Einwohnern
verboten. Allerdings einen von der schlimmen Sorte, ausländische Mädchen und kriminelle
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