Urlaub fuer rote Engel
verkleckert. Sie schimpft auf die Dreckschweine.
Ich schimpfe mit. »Wir sind ansonsten ein gutes Kollektiv im Haus. Fast alle vor 25 Jahren eingezogen. Zusammen alt geworden.
Über uns, die Frau … ist jetzt mit 55 arbeitslos geworden, heult manchmal. Und der Mann von der Frau … säuft, hat auch keine
Arbeit. Jeder weiß was vom anderen. Wir reden noch zusammen.«
Ich frage nach dem Kaffeekränzchen. Nein, sie gehöre nicht dazu, aber da hätte es neulich einen kleinen Krach gegeben. »Hat
die Frau Brenner für die drei und andere im Haus, die nicht gut zu Fuß sind, die Unterlagenfür die Briefwahl geholt, die komplizierten langen Listen geduldig erklärt. Und später erzählt eine von den dreien, dass sie
die CDU und nicht die Frau Brenner gewählt habe. Und da haben die zwei anderen bitterböse gesagt: ›Schäm dich!‹ Aber weshalb
sollte man die roten Socken von der PDS wählen? Nur weil die Frau Brenner so ein guter roter Engel ist, muss doch nicht auch
noch die Partei gut sein.«
Ein Mann im verschwitzten weißen Turnhemd über dem Bierbauch hat das Gespräch gehört, und vor dem Haus sagt er mir: »Wissen
Sie, die PDS ist die einzige Partei, die sich hier um unsereinen, um die kleinen Leute und ihre Sorgen kümmert.«
Ich frage ihn nach seinem Namen. Den will er nicht sagen. »Ich bin gläubig und früher, als die Kommunisten an der Macht waren,
hatte ich Angst, dass ich deswegen Schwierigkeiten kriege. Und heute, wo die Christdemokraten die Macht haben, fürchte ich,
dass man Schwierigkeiten bekommt, wenn man wie ich bei den Roten, bei der Volkssolidarität im Wohngebiet mitmacht. Dort ist
ja der Helmut Knoth der Chef, früher bei der Bezirksdirektion der Volkspolizei und SED und heute PDS …« Im Haus gäbe es übrigens
eine, die die Roten richtig hasse, oben, die Elfriede Keyser. »Als die erfuhr, dass 30 Prozent PDS gewählt haben, schrie sie
im Hausflur um Hilfe, denn die Kommunisten und ihre Diktatur werden wieder alle ins Unglück stürzen. Sie hat geschrien und
geschrien.«
Ich frage, ob er die Keyser meint, zu der jeden Abend die Brenner hoch geht.
»Ja, genau die.«
Die Vorsitzende vom Jugendhilfeausschuss, Heide Schwalbe, wohnt in der ehemaligen Straße der DSF, heute Würzburger Straße
26. In jedem der 11 Stockwerke des Betonklotzes 28 Fensteraugen. Weit geöffnet oder mit heruntergelassenen Jalousien. Als
ich schwitzend im 6. Stock bin, den Namen Schwalbe noch nicht gefunden habe, ruft eine Frau im Erdgeschoss. Sie ist mit dem
Fahrstuhl runtergekommen, um mich durch das mit Streublumenmuster tapezierte Treppenhaus zu lotsen. Rennt die Treppen hoch,
hat eine enge graue, nicht glänzende Radlerhose an, dazu ein sehr weit ausgeschnittenes weißes T-Shirt.
Ist schlank, hat lustige Augen unter einer Goldrandbrille. Schwarze Haare. Schnauft nicht. Naja, als Lehrerin für Sport und
Geschichte am Gymnasium. Außerdem gerade 35 … In ihrer Wohnung liegt der vielleicht 10-jährige Sohn mit übergestülpten Kopfhörern
vor dem Fernseher. Ein Actionfilm von RTL. Heute dürfe er noch, morgen würden sie in Urlaub fahren … Also, der Jugendhilfeausschuss.
Vor vier Jahren hätten sich alle CDU-Abgeordneten geweigert, dort mitzumachen. Einer von der SPD sei zur Gründung dagewesen,
danach nie wieder. »Es blieb an der PDS hängen, und die Brigitta Wurschi vom Neuen Forum war noch dabei. Den Ausschuss wollte
keiner, da musste man sich mit Alternativen beschäftigen, die für die Freigabe weicher Drogen demonstrierten, mit der Neonaziszene
auf dem Lautenberg. Die bekamen Expertenhilfe von der rechten Szene aus Schweinfurt, aber in der Stadt gab es nur einen Sozialpädagogen.
Also haben wir gemeinsam mit der Wurschi den Antrag formuliert, Streetworker einzustellen.Die SPD wagte nicht zu widersprechen, und seitdem haben wir drei Streetworker, die sich mit den jungen Leuten beschäftigen.«
Das Juniorenparlament hätten sie zusammen mit Simone Maaß von den Grünen ins Leben gerufen. Von Schule zu Schule gerannt.
30 Kinder und junge Leute wären nun in diesem Parlament. »Ohne Parteien, ohne OB, mehr so eine Art Runder Tisch, der zu allen
Problemen der Kids gehört werden will. Als Erstes verlangten die jungen Parlamentarier übrigens die Abschaffung von Zigarettenautomaten.
Und als wir ihnen sagten, das wäre in einer Demokratie nicht möglich, schlugen sie vor, die Automaten höher zu hängen …« Aber
zurück zum Ausschuss. Der würde
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