Urlaub fuer rote Engel
natürlich auch über die Schließung von Kindertagesstätten befinden. »Und es sieht verdammt
schlecht aus, wenn unter solch einem Schließungsschrieb steht: ›Schwalbe (PDS)‹. Ich könnte, um das soziale Gesicht zu wahren,
dagegenstimmen. Aber solch Populismus macht eben nicht mehr Kinder.«
Von der neugewählten PDS-Fraktion ist die 35-Jährige nicht begeistert. Persönlich hätte sie nichts gegen die alten Funktionäre,
aber … »Die Parteibasis hat die alten bewährten Genossen weit vorn auf die Liste gesetzt und die jungen oder Parteilosen nach
hinten gerückt … Ich habe meine Probleme mit dieser Basis. In den Versammlungen klatschen die meisten alten Genossen erst
einmal bei jedem Redebeitrag. Sie klatschen, wenn einer für die Autobahn spricht, und sie klatschen auch, wenn einer gegen
die Autobahn spricht. Gemeinsames Applaudieren macht stark, denken die immer noch. Ich habe bei der OB-Wahl zuerst nicht für
unseren Klaus Lamprecht vonder PDS gestimmt, sondern für die Simone Maaß von den Grünen. Ja, das kannst du schreiben, man muss zu seiner Meinung stehen,
zu seiner ganz persönlichen …«
Als ich gehe, umarmen wir uns wie gute Bekannte.
Am Fuß des größten Suhler Neubaugebietes, am Ziegenbergweg 13, wohnt die ehemalige Pastorin Renate Müller in einem der sechs
sogenannten Würfelhäuser. Jedes nur zweiundzwanzigäugig, Grün drumherum. Sie sind erst sechs Jahre alt. Als mir die pensionierte
Pastorin die Tür öffnet – rötlich schimmernde, in der Mitte streng gescheitelte Haare, grüngraue freundliche Augen –, weiß
ich, dass wir uns kennen. Vor acht Jahren hatten wir gemeinsam die Ho-Chi-Minh-Medaille erhalten. Sie für ihr Engagement in
der Kirche und ich für das meine in der UNICEF. Nach dem Erkennen wendet sich das Gespräch den schönen Würfelhäusern zu. Sie
winkt ab. »Hier wird demnächst alles rausgerissen, sogar der Fußbodenbelag. Die GEWO muss 15 Prozent ihrer Häuser verkaufen,
und da verscherbelt sie zuerst die in der besten Lage. Für 80.000 DM kann ich die Einraumwohnung kaufen.«
»Und wenn Sie nicht kaufen?«
»Dann kann sie ein anderer erwerben, und ich habe noch drei Jahre Gnadenfrist.«
Inzwischen hat sie alle Mieter eingeladen. »Ich habe Mut zugesprochen, obwohl er mir in diesem Fall selber fehlt. Denn in
diesem Wirtschaftssystem kümmert kein Menschenleid, wenn es ums Geld geht. Eine 40-Jährige klagte mir ihr Leid, dass sie hier
alt werden wollte, aber die 800 für die erneuerte Wohnung nicht bezahlen kann, also rausmuss. Das Geld hat kein Mitgefühl
für die Menschen.«Also müssten die Menschen was tun, zum Beispiel in der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrechten und Menschenwürde, in der
sie mitarbeite. Oder indem sie Spenden sammele für Kuba. »Egal wie – mit Solidarität versuche ich, Neues in einer alten Welt
zu bauen. Ich war schon als Pastorin links, hatte beispielsweise die Vision, dass sich die Kirche die revolutionären sozialen
Ideen von Müntzer zu eigen machen sollte. Geprägt worden bin ich als Jugendpfarrerin in Halle.« Damals hätten sie sich in
ihren Gruppen mit dem Hunger in der Dritten Welt beschäftigt. »Nein, nicht beschäftigt, wir haben gelitten, geforscht, gebetet.
Mit ausländischen Repräsentanten gesprochen. Damals wurde mir klar, dass das gierige Wirtschaftssystem des Kapitalismus für
die Armut, für das Sterben in der Dritten Welt verantwortlich ist. Reichtum ohne Rücksicht auf Tote.« Am 4. April 1990, am
Jahrestag der Ermordung von Martin Luther King, ist sie Mitglied der PDS geworden. »Es war nur an diesem symbolischen Tag
möglich. Und nachdem die PDS bei den Volkskammerwahlen verloren hatte. Bei einem Sieg wäre ich nicht beigetreten.« Bis zur
Pensionierung stand sie noch ein Jahr als PDS-Pastorin auf der Kanzel. Ihre Schlusspredigt am Gründonnerstag: Jesus wäscht
den Jüngern die Füße. »Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.« Ja, das sei auch ihres:
Solidarität untereinander. »Andere Parteien haben hinter sich den Mammon, wir Nichtprivilegierten besitzen nur unsere Solidarität.
In der Suhler Bürgerrechtsgesellschaft versuchen wir jetzt den Arbeitslosen zu helfen.« Noch würden viele nicht ahnen, was
in zwei, drei Jahren passiere, wenn Arbeitslosengeldund Arbeitslosenhilfe auslaufen und sie Sozialhilfe beantragen müssten. Dann müssten sie erst mal alles Ersparte rausrücken.
»Eine neue große
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