Urlaub fuer rote Engel
die ihr Wohngeld vom Sozialamt bezogen. Das Sozialamt überweist schon
am 28. Da ließ ich das mit dem Blumenstrauß sein.«
Er fühlt sich in der ungestörten Weite hier oben sehr wohl. Die Stadt unten braucht er nicht. »Manchmal fragen mich, also
wie Sie es nennen, andere Millionäre, aber solche Angebertypen, ob ich nicht mit nach Dresden komme in diverse Clubs mit Champagner
und Weibern. Weiß der Teufel, ich spucke nicht rein, wenn es was zu trinken gibt. Aber ich bin katholisch, gut verheiratet
und mache lieber hier oben ein Grillfest mit meinen Mietern.« Die Stadt, das Einkaufen, das Bummeln überlasse er seiner Frau.
Im Moment streitet er mit der Stadt, weil er den Stieg dichtmachen will, aber sie auf einem öffentlichen Weg besteht und ihm
außerdem streitig macht, die Wettinhöhe als Schloss zu bezeichnen. »Weil hier, wie sie sagen, kein Adliger, kein König gelebt
hat. Aber jetzt bin ich hier der König.«
Als ich gehe, spielt er mir auf seinem bei allen Wohnungswechseln mitgenommenen Zerrwanst »Muss idenn, muss i denn zum Städtele hinaus«. Und kutschiert mich, weil es immer noch regnet, in die Stadt hinunter. Aber bevor
ich mich von Radebeul verabschiede – wieder vom Bahnhof Ost –, steige ich, weil ich die Stufen zählen will, doch noch die
Stiege zur Wettinhöhe hinauf. Mühevoll und langsam. Die Stufen sind so wacklig und zerbrochen, dass ich stolpernd das genaue
Zählen vergesse. Aber schon als ich reichlich 200 Stufen nach oben geschafft habe, sehe ich am Eingangstor des herrschaftlichen
Portals zum Millionärsschloss das Schild »Privat«. Und weiter oben dann ein altes Fahrradschloss. Mit dem ist das Tor für
die von unten Kommenden sicher verschlossen.
Die Vermesser
Mein praktischer Geodäsie-Unterricht beginnt an einem kalten Oktobermorgen des Jahres 2010 in Waltersleben nahe Erfurt. Die
Herbstnebel haben den bunten, würzig riechenden Teppich aus Kastanienblättern auf den Treppen zum Kirchplatz nass und gefährlich
glatt gemacht.
»Wir müssen trotzdem hinaufgehen, denn das Auto steht oben, und darin liegt auch Schreibpapier«, tröstet mich der Vermessungsingenieur
Wolfgang Barthel, als ich ihm gesagt habe, dass ich mein Handwerkszeug – also Stift und Notizbuch – zu Hause vergessen habe.
In dem Transporter der Vermesser, vorn ein Büro mit Stuhl und herausziehbarem Schreibtisch und hinten gleichzeitig Werkstatt
mit dem Krimskrams von Schrauben, Hämmern und Zangen, findet er zwar kein unbeschriebenes Blatt Papier, aber die Kopien alter
Straßen- und Gebäuderisse. Er steckt sie mir mit der unbeschriebenen Rückseite nach oben in eine gelbe Plastetafel – »schon
früher war die gelb, aber damals mit Holzrahmen« –, drückt mir das Feldbuch der Vermesser in die Hand und meint, dass ich
damit schon sehr geodätisch aussehen würde. Hinter dem Vordersitz liegen zwei Messinstrumente mit spinnenbeinartigen Metallfüßen.
Wolfgang Barthel sagt nebenbei, dass man mit diesen jeweils 20.000 Euro teuren Messstationen Satelliten im Weltall anpeilen
und aus deren Standorten die eigenen Koordinaten auf der Erde zentimetergenau berechnen kann. Weil ich mir das nicht vorzustellen
vermag, sage ich nur: »Sehr teure Geräte.« Er nickt, vergisst,das Auto abzuschließen, und geht noch einmal den Stieg hinauf. Ich warte vor der roten Ziegelwand eines großen Bauerngehöftes.
An der Mauer hängt als einziges Zeichen der Neuzeit ein auch schon maroder winziger Automat, aus dem sich die Walterslebener
Kinder für 50 Cent silbern glitzernden Schmuck, bunt angemalte Tauben, Ringe, Kühe und Schafe oder Gummibärchen herausholen
können.
Die Vermesser aus Wolfgang Barthels Büro, ein älterer und ein junger Mann, arbeiten auf dem Nachbargrundstück. Es ist mit
einer wallähnlichen, vielleicht 3 Meter hohen und 60 Meter langen, ebenfalls aus roten Ziegelsteinen gebauten Mauer von dem
Bauernhof abgetrennt. Auf dem Grundstück haben die Männer einen Kreis von einem Meter Durchmesser von wildem Wein, rankendem
Gundermann und welkem Laub befreit und mit rotem Spray markiert. Darauf steht eines der Geräte, die eine Verbindung zwischen
dem 40 km entfernten Satelliten und der zu vermessenden Ziegelmauer herstellen können. Der Junge schreit dem Älteren Zahlen
zu, von deren Bedeutung ich nichts verstehe. Die beiden arbeiten, ohne aufzublicken. Obwohl beide nur ihre Instrumente im
Auge haben, meint Wolfgang Barthel, dass ich sie bei der
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