Urlaub fuer rote Engel
»Die Besitzer, Millionäre aus dem Schwäbischen, sollen über 2 Millionen aus einer Erbschaft in die liebevolle detailgetreue
Restaurierung des heruntergewirtschafteten Gebäudes gesteckt haben.«
Als ich den von alten Bäumen gesäumten Weg zum Eingang des Herrenhauses beschreite, bimmelt die Uhr im Glockenturm. Danach
wieder Stille. Das Haus zwischen Brunnen, Natursteinmauern und Sandsteinfiguren ist das schönste Hotel, das ich je gesehen
habe. Alte, wieder freigelegte, sehr zarte Wandmalereien im Festsaal, Pastellfarben in den Zimmern, dazu prunkvolle Kronleuchter.
Kaum vorstellbar, dass hier vor zehn Jahren heruntergekommene Wohnungen, zugemauerte Fensternischen, mit Linoleum und Teer
verklebte Sandsteinfußböden, im Festsaal eine Corsagenwerkstatt gewesen sind. Die Frau, die daraus zusammen mit ihrem Mann,
dem 49-jährigen Architekten Hans Hennig Hanson, wieder ein künstlerisches Kleinod geschaffen hat, ist Ergotherapeutin. Das
mit den 2 Millionen aus ihrer Erbschaft stimmt, sagt die schlanke, sehr sorgfältig gekleidete 40-jährige Frau. »Aber ich hätte
meinem Wunsch, hier alles wieder so stilecht wie vor 200 Jahren herzurichten, nicht bis zur allerletzten Konsequenz, bis zur
letzten freizulegenden Malerei nachgeben sollen. Geld hätte man mit einem Hotel, in dem die Wände neu getüncht worden wären,
auch verdient, aber …« Sie hat eine sehr warme freundliche Stimme. Auch als sie sich entschuldigt, dass heute kein guter Tag
für ein Gespräch ist. Gestern wäre die hoffentlich vorerst letzte Gerichtsverhandlung gewesen. Die Bank akzeptiert die neuen
Geldgeber der Familie Hanson nicht. Droht mit Zwangsräumung. »Wir hätten dann nichts mehr. Ein Freund hat uns vorsichtshalber
seine leere Wohnung angeboten. Der Bürgermeister von Radebeul schrieb einen Brief an die Bank, mit welcher Verantwortung gegenüber
der Historie wirhier das Haus … Aber Verantwortung für die Geschichte ist kein Geld wert … Ich habe doch auch in Gummistiefeln zwischen Schutt
im Garten gestanden.« Sie schluckt. »Man ist so verdammt klein gegen eine Bank!«
Aus dem Festsaal hört man inzwischen Geschrei. Ein Gast aus einer westdeutschen Großstadt, der mit seiner aus Radebeul stammenden
Familie einen 80. Geburtstag feiert, beschwert sich lautstark, weil auf dem Tisch etwas fehlt. Er schreit nun Jutta Hanson
an, die er für die Kellnerin hält. »Schlamperei … typisch Osten.« Gott sei Dank seien seine Familienmitglieder schon sehr
zeitig aus Radebeul weggezogen. Und die Chefin vom liebevoll restaurierten »Haus Sorgenfrei« steht wie das frierende arme
Mädchen mit den Schwefelhölzchen daneben. Ich versuche, obwohl es mich nichts angeht, die Gesellschaft aufzuheitern. Als der
Mann dann den »Taucher« auf Sächsisch aus dem Kopf aufsagt, wird die köstliche Vorspeise aufgetragen …
Nur weil ich gierig auf »Flecke« bin – das erste Mal waren sie schon alle – und Eierschecke verehre, finde ich doch noch einen
»echten Millionär«. Denn während ich in der Fleischerei Meißner, Ecke Moritzburger Straße an der Mittagstheke meine Flecke
löffle, erzählt mir eine Kohlrouladen essende Frau (man redet dort mittags noch miteinander), dass eine ihrer früheren Lehrerkolleginnen
von der Grundschule in Meißen einen Millionär in Radebeul geheiratet hat. »Sie lebt jetzt mit ihm oben im Schloss Wettinhöhe.«
Und im Café nebenan erfahre ich beim Eierscheckenachtisch, dass man »Millionär nur durch Sparsamkeit wird«. In der Emil-Schüller-Straße
würde jeden Donnerstag von 9 bis 18 Uhrin einer großen alten Betriebshalle Konkursware billig verkauft. »Dort holen die auch ihr Zeug, diese Millionäre.«
Als ich dort einem Mann, er kramt gerade in einer Kiste mit Elektroschaltern, meine blöde stereotype Frage »Sind Sie ein Millionär?«
stelle und der mir fast eine reinhaut, beende ich die Aktion. Männer, nur Männer wühlen in der Bleistift-, Klopapier-, Staubsauger-,
Motoren-, Pumpen-Konkursmasse. An der Decke der Halle hängt eine zu verkaufende DDR-Fahne. »Die Waren stammen auch aus bankrotten
Radebeuler Unternehmen«, sagt mir Frau Erler, die ansonsten Heimerzieherin ist. Hausbesitzer kaufen hier, und Arbeitslose
schlagen ihre Zeit tot. Einer sitzt draußen und spielt Mundharmonika. Er will, sagt er, im nächsten Winter nach Australien
auswandern.
Am Morgen, als ich zur Straßenbahn laufe, um endlich einen richtigen Millionär zu besuchen, regnet es
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