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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Arbeit ausfragen kann.
    Maurer habe ich schon angesprochen, während sie arbeiteten. Einige von ihnen legten nach der »Ein Stein, ein Kalk, ein Bier«-Begrüßung
     die Kelle in den hölzernen Mörteltrog, schauten zum Himmel, meinten, dass es nicht regnen werde, man also nicht, in der Baubude
     sitzend, sein Bier trinken könne, wiesen den Lehrling an, dass er zwei Flaschen aus der Bude holen solle, und erzähltendann von fehlenden Moniereisen und schwarz besorgtem Zement, von Fußball und Frauen. Niemals aber habe ich es gewagt, einen
     Vermesser bei seiner Arbeit anzusprechen; weder den angestrengt durch sein gelbes Messgerät Blickenden noch den, der die rot-weißen
     Fluchtstangen hält und sie befehlsgemäß um Zentimeter verrückt.
    »Die darfste nicht stören, sonst wird die Straße neben unserem Haus krumm«, hatte mir mein Opa gesagt, als sie bei uns im
     Dorf von Haus zu Haus zogen. Später erlebte ich, wie mein Vater – ein Staatsanwalt – einen Vermesser zum Teufel schickte.
     Ein Skatbruder meines Vaters hatte eine Neubauwohnung erhalten und wollte sein kleines baufälliges Haus samt dem Garten und
     dem dazugehörigen Weg an einen Arbeitskollegen meines Vaters, den Gerichtsdiener Gerd Jäckisch, verkaufen. Der Genosse Gerichtsdiener
     hatte vor dem Handel einen Vermesser bestellt. Mein Vater war empört. Er sagte dem Gerichtsdiener, dass er den Preis, es war
     ein geringer, bezahlen sollte und damit wäre alles Nötige erledigt. Wozu müsste er, ein Genosse, im Sozialismus, wo allen
     alles gehöre, solche kapitalistischen Überbleibsel wie das Privateigentum ausmessen und trennende Grenzsteine setzen lassen.
     Als der Vermesser, es war ein bulliger Mann mit Schnurrbart, der die Messgeräte und Fluchtstangen auf der Schulter trug, entgegnete:
     »Eigentum bleibt immer wertvoll«, und das Grundstück vermessen wollte, hatte mein Vater gewettert: »Wer heute noch dem Privateigentum
     huldigt, ist ein Diener der alten kapitalistischen Ordnung, also troll dich gefälligst, sonst …« Und der große starke Mann
     war gegangen.
    Nach der Wende sagte der ehemalige Genosse Gerichtsdiener zu meinem Vater, dem ehemaligen Genossen Staatsanwalt: »Walter,
     mit dir werde ich kein Bier mehr trinken.« Und er hat nie mehr ein Bier mit ihm getrunken. Monatelang versuchte Gerd Jäckisch
     zuerst mit Geld, danach mit einem fast neuen Trabant Kombi und schließlich einer Mallorca-Urlaubsreise einen Vermesser auf
     sein Grundstück zu locken, denn für das Haus samt Garten und dem dazugehörigen Fußweg in bester Wohnlage hatte ihm ein Pensionär
     aus Saarbrücken 100.000 DM (West!) angeboten. Aber nur mit einem zentimetergenauen Aufmaß der Grundstücksgrenzen und Eintrag
     im Kataster. Eigentum war plötzlich wieder alles. Und die Vermesser wurden die begehrtesten Dienstleister der Nachwendezeit.
    Auf dem Grundstück, das die zwei Barthel’schen Geodäten millimetergenau vermessen, will der neue Besitzer nahe der 60 Meter
     langen hohen roten Mauer ein Wohnhaus bauen lassen. Doch die an manchen Stellen aus groben Feldsteinen gefügte Mauer verläuft
     nicht schnurgerade auf der Grundstücksgrenze, sondern manchmal 333,3 Millimeter diesseits und manchmal 217,7 Millimeter jenseits
     der Gemarkung. Die genaue Grenzziehung ist nicht nur nötig, um katastermäßig festzuhalten, wem welche Steine gehören, sondern
     vor allem um festzulegen, wer an welcher Stelle der Mauer die Pflicht haben wird, herausfallende Steine zu erneuern. Sonst
     ist der Streit zwischen den Nachbarn vorprogrammiert, sagt der ältere Vermesser.
    In der Mitte der Mauer hat der frühere Besitzer ein Plumpsklo angefluchtet. Schon blütenlose und sich braunfärbende Königskerzen wachsen davor. Außerdem entdecke ich, unter dem bunten wilden Wein versteckt, den Eingang zu einem Gewölbekeller.
     Ein Bierkühlfach ist ausgespart, leere Flaschen liegen noch darin.
    Wenn Steine reden könnten, denke ich, welche Geschichten würden sie erzählen. »Nach dem alten Feldaufriss von 1920«, meint
     Dipl.-Ing. Wolfgang Barthel, »hat hier ein Wohnhaus gestanden. Die Karten von damals stimmen immer noch.« Im Gegensatz zu
     den neuen, vor einigen Jahren im Auftrag des Thüringer Innenministeriums nach einer Flugzeugvermessung durch ein Tiroler Vermessungsbüro
     gefertigten Karten. »Das hier noch zu DDR-Zeiten gegenüber der Mauer gebaute Wochenendhaus ist auf der aktuellen Karte nicht
     vorhanden. So unvollständig sind nach Luftbildmessung erstellte

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