Urlaub fuer rote Engel
kann
und einmal im Jahr mit Zelt und Leihwagen durch Australien … soll er von mir aus im Buckingham-Palast wohnen.«
Ich laufe die Meißner Straße entlang. Bis zum Rathaus, das sich rechts befindet, sehe ich fast ein Dutzend alte Häuser oder
leerstehende Grundstücke, die gegen oder ohne Provision zu verkaufen oder zu vermieten sind. Ja, sagt Bürgermeister Dr. Jörg
Müller, das sei ein Problem. Hier unten gäbe es noch viele verlassene Wohnungen und freie Bauplätze. Aber oben sei fast nichts
mehr frei.
Bürgermeister Müller sieht sehr vornehm aus. Vor allem wegen seiner gelben, mit kleinen Punkten verzierten Fliege. Auch er
lobt »unsere Millionäre«. Von denen er allerdings nicht genau weiß, ob sie wirklich welche sind, denn ihre Steuer zahlen sie
nicht direkt an die Stadt, sondern zuerst an das Land. Und die Gewerbesteuer, beispielsweise von Planeta, zuerst an die Stadt
Würzburg, und die würde teilen. »Hoffentlich ehrlich!« Aber Radebeul könnte sich noch alle Schulen, Kindergärten, Museen,
Bibliotheken, Sportplätze usw. leisten. Und vom stattlichen Gesamtschuldenberg (rund 45 Millionen Euro) will die Stadt in
diesem Jahr eine knappe Million Euro abtragen.
Ich frage, in der Hoffnung, sie dort zu treffen, wo die »neuen Reichen« in Radebeul ihre Stammkneipen, ihre Clubs haben. Von
Clubs weiß der Bürgermeister nichts.Stammkneipen? Manche würden in die »Schwarze Seele« gehen. Aber ob ich sie dort treffen würde, weiß er nicht. »Das Kapital
ist ein scheues Reh …«
Mit Friedrich Kozka, einem der Radebeuler Rotary-Leute, sitze ich am nächsten Tag trotzdem zum Mittagessen beim Italiener.
Das Auffälligste an dem etwa 40-jährigen Immobilienmakler, der aus München (»Dort waren die Pfründe vergeben!«) in den Osten
kam, sind sein lausbubenhafter Igelhaarschnitt und sein Handy. Es baumelt ihm, wie die Trillerpfeife eines Fußballschiedsrichters
um den Hals gebunden, gut sichtbar vor der Brust. Unser Spiel dauert nicht länger, als eine Pizza aufzuessen. Zwischendurch
pfeift, Verzeihung, telefoniert Friedrich Kozka Straf- und Freistöße, Abseits- und Foulspiel. Autoverkauf … Strittiger Hausvertrag
in München, »da muss ich wohl heute noch einfliegen« … Konditionen für einen Baustellenkauf …
»Eigentlich Kaufmann gelernt … Radebeul ist im Mietpreisspiegel Ost die Nummer eins … Zuerst hier Fotoschnellgeschäfte aufgebaut
… Einige Jahre bei Porsche … Meine Beziehungen für Spenden nach der Flut genutzt … Immobilien oben an den Weinbergen so gut
wie ausverkauft … In der Freizeit Tennis und Reiten … Ich bin wohl nicht mehr zu unterscheiden von einem Hiesigen, bin hier
zu Hause.« – »Millionär?« – »Um Himmels willen, wissen Sie …« Handy-Termin. Er muss gehen, bevor ich aufgegessen habe. Der
italienische Chef öffnet dem noch Kauenden die Tür, als ich bezahlen will, ist schon bezahlt.
Friedrich Kozkas alte herrschaftliche Villa oben in der Weinbergstraße 44 heißt »Haus in der Sonne«. 1920hatte sie Professor Martin Hammitzsch, der Architekt der »orientalischen« Tabakfabrik »Yenidze« in Dresden, zum letzten Mal
umgebaut. 16 Jahre später heiratete er Hitlers Halbschwester Angela und wohnte mit ihr dort. Ich entdecke das Haus nicht an
der Weinbergstraße. Frage einen Mann, der in der Nähe Holz hackt, ob er der Hausmeister von einer der Villen sei und wo ich
das »Haus in der Sonne« finde. Er ist kein Hausmeister, sondern Schauspieler an den Landesbühnen Sachsen. Ich verstehe – er
hackt Holz, während er redet – »Schauspieler Heuser« und »spiele jetzt den Jason in ›Medea‹«. Die Wohnung hier oben sei eigentlich
nicht seine Preisklasse. Aber er ist schon zu DDR-Zeiten eingezogen. Die Villa gehört noch der kommunalen Wohnungsverwaltung.
»Und ist kaum zu verkaufen, denn der dazugehörende Park, in dem nicht gebaut werden darf, ist zu groß, also alles zu teuer,
selbst für einen Immobilienmakler wie Kozka.«
Gott sei Dank, denn sonst müsste er wie andere hier wohl raus. »Wenn ein neuer Besitzer renoviert, können die alten Mieter
die Miete nicht mehr bezahlen.« Er zeigt mir den nichtöffentlichen Weg zum abseits in einem sehr großen Bergpark stehenden
»Haus in der Sonne«. Schmiedeeisernes großes Eingangstor. Kamera. Lichtschranke. Hundegebell.
Ich könne mir, sagt der Schauspieler, stattdessen das Haus »Sorgenfrei« anschauen, die wahrscheinlich schönste Villa hier
oben.
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