Urlaub mit Papa
Hunger, kommt ihr mit?«
»Gleich.« Ich ließ mich auf einen der Sessel sinken, die vor dem offenen Kamin standen. »Ich brauche noch fünf Minuten Ruhe.«
»Das ist eine gute Idee.« Dorothea setzte sich auf das Sofa gegenüber. »Wir kommen nach.«
»Na gut. Ich drücke euch die Daumen, dass Onno euch was übrig lässt. Bis gleich.«
Ich lehnte mich kurz zurück und schloss die Augen. Bevor ich sie wieder öffnete, hörte ich draußen ein Fahrrad und sofort die dazugehörige Stimme.
»Wo seid ihr?«
»Kalli muss einen eingebauten Detektor haben, der ihm immer meldet, wo es wann etwas zu essen gibt. Unglaublich.«
Dorothea erhob sich und ging ihm entgegen. Kalli stand schon in der Tür.
»Hallo. Seid ihr allein?«
»Die anderen sind drüben in der Küche, es gibt gleich Suppe.«
Kalli lächelte erfreut.
»Ich denke, du bist mit meinem Vater und Hubert bei den Möwen?«
Ich quälte mich aus dem Sessel hoch. Mir tat vom Möbelschleppen alles weh. Kalli errötete und kratzte sich verlegen am Arm.
»Da kam was dazwischen… Also, Carsten und mir… Heinz und Hubert sind mit den Kindern weitergegangen, zu den Möwen.«
»Was kam euch dazwischen? Und wo ist Carsten?«
»Ähm, ja, also Gisbert… er hat uns zum Observieren eingeteilt, aber Heinz hat gesagt, dass das nichts für die Kinder ist, deshalb musste ich anfangen und jetzt hat Carsten mich abgelöst, ich hatte so einen Hunger.«
Dorothea lachte. »Und im Moment observiert Carsten? Dann hat der meine Sonnenbrille geklaut. Sie lag nämlich die ganze Zeit auf der Fensterbank und ist jetzt weg. Wo schleicht er denn gerade herum?«
Kalli hob die Schultern. »Keine Ahnung. Während meiner Schicht saß Thiess die ganze Zeit in einem Strandkorb und hat gelesen. Das war vielleicht langweilig.«
»War er allein?« Ich musste das fragen.
»Carsten?«
»Nein, Johann Thiess.«
»Ja, deshalb war es ja so langweilig. Vielleicht hat Carsten mehr Glück. Ich muss jetzt sofort was essen.« Mit dem letzten Wort war er durch die Tür verschwunden. Dorothea und ich sahen ihn mit schnellen Schritten zur Pension gehen. Dorothea holte tief Luft.
»So langsam finde ich ihre Nachforschungen beängstigend. Das kriegt doch was Krankhaftes. Der arme Thiess. Egal, wo er hingeht, ständig hat er einen alten Mann mit Sonnenbrille an der Hacke.« Sie musste lachen. »Stell dir das mal vor. An seiner Stelle wäre ich schon lange ausgerastet.«
Ich wollte gerade antworten, als mein Blick auf eine Frau fiel, die auf Zehenspitzen vor der Pension in ein Fenster spähte. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Ich stieß Dorothea an.
»Was macht die denn da?«
Dorothea beugte sich vor. »Keine Ahnung. Die guckt. Warte mal, ist das nicht…?«
Jetzt erkannte ich sie auch: Es war die Frau auf Gisberts Handyfotos. Die reiche alte Dame aus der ›Georgshöhe‹.
»Das ist sie.« Dorothea war schon auf dem Weg. »Das angebliche Opfer. Ich gehe jetzt da hin und frage, was sie mit Johann Thiess zu tun hat.«
Sie lief auf den Hof und rief: »Hallo, warten Sie!«
Die Dame zuckte zusammen und sah in unsere Richtung. Als sie Dorothea entdeckte, machte sie auf dem Absatz kehrt. Dorothea folgte ihr, an der Hofeinfahrt drehte sie sich kurz zu mir um und bemerkte dadurch nicht, dass Gisbert von Meyer auf seinem Moped um die Ecke geschossen kam.
Er fuhr sie einfach über den Haufen. Der Knall weckte mich aus meiner Erstarrung. Binnen Zehntelsekunden war ich an der Unfallstelle. Dorothea saß auf dem Hintern und umklammerte ihr Knie. Wütend starrte sie Gisbert an, der stöhnend unter dem Moped hervorkroch und seinen Helm abnahm.
»Du Idiot! Aua! Wie kann man nur so dämlich sein. Jetzt ist sie weg. Ich zeig dich an, du Trottel, du kommst in den Knast wegen Körperverletzung. Verdammt, Christine, mir tut mein Knie so weh!«
Gisbert setzte sich neben sie und strich vorsichtig über ihre abgeschürfte Stelle. Sie schlug ihm auf die Hand.
»Fass mich nicht an, Blödmann. Erst bringst du mich fast um und dann kommst du angekrochen.«
Ich strich Dorothea beruhigend über den Rücken. »Kannst du aufstehen?«
»Natürlich… Aua.«
Ich zog sie hoch und sie versuchte aufzutreten. Es ging, sie humpelte nur ein bisschen. Gisbert saß immer noch. Ein bisschen leid tat er mir doch.
»Hast du dir was getan?«
Er schüttelte tapfer den Kopf und erhob sich mit leisem Stöhnen.
»Geht schon. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.«
Ich hatte so einen Kommentar befürchtet.
Er betrachtete sein Moped.
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