Urmels großer Flug
mehr fern.
Hier
war eine große Plattform aufgestellt, genau in der Mitte. Ringsherum hingen
Ketten von Lampions. Und darüber weitgespannte Transparente:
»Kostüm-Prämierung«. Auf Bänken saß die Jury, das Preisgericht. Immer wieder
wurden neue Masken nach oben gehoben, von grellen Trompetenstößen angekündigt.
Jetzt tanzte eine große Frau im gelben Königinnengewand. Dann stolzierten
römische Soldaten mit Goldhelmen herum. Später wurde zum mitreißenden Klang
einer Kapelle die verschwenderische Kostümierung einer Tanzgruppe vorgezeigt. Dann
kam ein kleiner, steppender Zeitungsverkäufer. Er wurde mit freundlichem
Beifall bedacht.
Und
da war das Urmel gerade unter einem Baum. Schusch sah die unverwechselbare
Schnauze, er schwirrte ins Geäst, er hörte die kleine Tempeltänzerin sagen: »Du
bist die schönste Maske. So was Originelles wie dich habe ich überhaupt noch
nie gesehen.«
»Hallo,
hallo, Urmel«, krakeelte Schusch, und er wollte rufen, »Wutz und Könäg Futsch
sänd da«, aber es war zu spät. Das Urmel wurde von den Faschingsnarren, halb
gehoben, halb geschoben, auf die Plattform gedrängt. Da stand es nun, tänzelte,
wurde vom grellen Scheinwerferlicht erfaßt, wiegte sich im ohrenbetäubenden
Lärm der Buschtrommeln, Rasseln, Eisenglocken und Tamburine. Beifall brandete
auf. Ein Trommelwirbel ohnegleichen setzte ein, brachte jedes andere Instrument
zum Verstummen. Und eine alte Frau, die Backwaren anbot, schrie: »Das ist das
beste Kostüm!«
So
dachte auch das Preisgericht. Die Herren mit den Zylindern sprangen von den
Bänken, man riß dem Urmel die Händchen hoch, man drehte es nach allen Seiten,
damit jeder es sehen sollte, mit der lustigen Nilpferdschnauze und den
Vogelflügeln und dem Krokodilsschwanz. Seine Fledermausöhrchen zuckten freudig.
Da
jubelte die Schweinedame ganz in der Nähe: »Urmele, mein Liebling, öfföff! Hier
bin ich, deine Mama, deine Wutz!«
Die
Fledermausöhrchen flogen herum und die Augen suchten.
Ein
Preisrichter im Zylinder trat ans Mikrofon: »Der erste Preis! Diese Maske
gewinnt eine Reise zu zweit nach Paris!«
»Hurra,
hurra!« tobte es ringsum.
»Urmele,
huhu, hier bin ich, öfföff!«
Der
Herr im Zylinder redete weiter, und die Lautsprecher ließen es über den ganzen
Platz schallen: »Aber jetzt wollen wir sehen, wer sich unter der Maske
verbirgt: große Demaskierung des ersten Preises! Bist du ein Herr oder eine
Dame, liebe Maske!«
»Ich
bin das Urmel«, sagte das Urmel. Ihm wurde ein wenig bänglich zumute.
»So
nimm doch endlich deinen Pappkopf ab«, rief die kleine Tempeltänzerin von
unten. »Dann kannst du mir auch wieder einen nassen Kuß geben!«
Der
Wüstenscheich schaffte sich energisch Platz, mit Ellenbogen und Händen. Er
zwängte sich durch die dicht an dicht stehenden Phantasiekostüme.
Schon
war er ganz nah, und hinter ihm drängte, grunzte das Schwein. »Öfföff, öfföff!
Bitte lassen Sie mich durch!«
Auf
den schwankenden Kabeln, auf der Glühbirnenkette, landete ein großer Vogel, er
flatterte mit den Flügeln, er suchte vor- und zurückschwingend Halt auf der
schaukelnden Schnur. Er kreischte: »Wutz äst da!«
»Kopf
ab!« schrie es von unten. Und die kleine Tempeltänzerin reckte sich neugierig
auf die Zehenspitzen, bis sie ein mächtiger Latementräger auf die Schultern
nahm, damit sie besser sehen konnte.
Sie
sah den wippenden Vogel, sie sah den Wüstenscheich ganz nah und hinter ihm das
Schwein, sie sah die Männer in Zylindern, die am Kopf ihres Faschingsfreundes
zerrten, da wollte der Scheich zupacken, da schoß das Schwein unter seinen
Beinen hindurch und stieß ihn um. Da rief der Preisträger: »Schade, gerade war
es so schön!« Er warf der kleinen Tempeltänzerin ein — zwei — drei Kußhändchen
zu, er gab dem zudringlichen Schwein mit der Fußspitze einen Nasenstüber und
breitete seine Flügel so kräftig aus, daß er die Männer mit den Zylindern zur
Seite schubste und in die Luft emporstieg, zur allgemeinen Verwunderung.
Da
verstummten die Kapellen, da erstarrte jedes rhythmische Wiegen der Tänzer, da
schaute alles nach oben, und ein einziges »Aaahhh« aus tausend Kehlen stieg in
den tiefdunklen Himmel. König Karneval feierte seinen größten Triumph, seitdem
er in dieser Stadt regierte.
»Zu
traurig«, rief das Urmel Schusch zu. »So herrlich war es noch nie. Trotzdem:
Was sollte ich mit einer Flugreise zu zweit nach Paris anfangen?«
Nun
war Wutz jedes Karnevalvergnügen verdorben.
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