Urod - Die Quelle (German Edition)
flatterten. Er stürzte durch die Tür der Baracke und verriegelte sie von innen. Für einen Moment lehnte er sich gegen die Wand, um seinen Atem zu beruhigen. Die erste Etappe wäre geschafft. Jetzt galt es nur, die Kiste zu finden. Und vielleicht lag auch noch irgendwo eine Kelle herum, die er sich schnappen konnte. Den Weg noch einmal ohne Waffe zu bewältigen, das wollte er keinesfalls. Als er spürte, dass sich seine Brust nicht mehr so schnell hob und senkte und die Aufregung ein erträgliches Maß erreichte, suchte er den Raum mit den Augen ab.
„ Die Kiste“, dachte er. Miles hatte von einer Plastikkiste gesprochen. Es war dunkel in der Baracke und der hintere Teil war so finster, dass er sich langsam vorantasten musste, immer darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, denn sie mussten ja nicht unbedingt wissen, dass er hier ganz alleine in der Falle saß.
Auch wenn er sich freiwillig in diese Situation begeben hatte, was er momentan so gar nicht mehr nachvollziehen konnte, so wollte er doch nicht als Abendessen schauriger Kreaturen herhalten. Schritt für Schritt schlich er vorwärts und bemühte sich, so lautlos wie irgend möglich zu sein und seine Panik zu zügeln, die ihn innerlich zur Eile antrieb. Tausenderlei Gedanken purzelten in seinem Hirn herum, doch er versuchte zu fokussieren. Die Kiste, alles andere zählte nicht.
Wenn er überleben wollte, musste er anfangen zu denken wie ein Krieger.
Oder ein Jäger.
Die Vorstellung gefiel ihm. Und gab ihm, zu seiner eigenen Überraschung, Mut. Er war ein Indianer, der nur mit einem Messer bewaffnet jagen ging. In jeder anderen Situation hätte er das albern gefunden, aber das hier war nicht jede andere Situation. Er fühlte sich zurückgeworfen auf seine tief sitzenden Instinkte und im Alltag völlig verschüttgegangenen archaischen Gefühle.
Das hier war etwas, für das ein Mann qualifiziert war. Er war ein Jäger. So wie eine Frau Kinder bekommen konnte und dafür geschaffen war, so war er derjenige, der sie vor allem Unbill zu schützen hatte. Mit einem Mal schienen seine Sinne schärfer und sein Puls ruhiger. Er spürte, dass er das hier nicht lernen musste, es steckte ihm in den Genen. Es steckte ihm im Blut. Seine Furcht war verflogen und einer Art Blutdurst gewichen. Sollten sie nur kommen diese Urods. Er würde so viele von ihnen mitnehmen, wie er kriegen konnte.
Er beschleunigte seine Schritte und erreichte das hintere Ende des Raumes. Rechts von ihm erspähte er eine Plastikkiste, wie er sie manchmal bei Anglern gesehen hatte. Er eilte darauf zu, öffnete sie und griff hinein, da es zu dunkel war, um ihren Inhalt genau erkennen zu können. Er hoffte inständig, dass sich kein scharfes Messer darin befand und er sich aus Versehen die Pulsadern aufschnitt.
Vorsichtig befingerte er die Dinge, die in der Kiste aufbewahrt wurden. Er fühlte die raue Oberfläche eines groben Seils, etwas Kühles, Glattes – ein Kanister oder ähnliches, und zwei große Taschenlampen. Außerdem mehrere Feuerzeuge und ein paar Kerzen. Mehr musste er nicht wissen. Eine Waffe schien nicht dabei zu sein und er bezweifelte, dass er auf die Schnelle eine finden würde. Also steckte er sich zwei Feuerzeuge in die Hosentasche und verschloss die Kiste so gut es ging. Vielleicht konnte er durch das Feuer ein bisschen Zeit gewinnen, falls er angegriffen würde. Er war sich sicher, dass ihm diese Idee aufgrund von irgendwelchen Kinofilmen gekommen war, aber warum sollte nicht etwas daran sein. Außerdem – eine andere Option hatte er nicht.
Mit der Kiste unterm Arm durchmaß er den Raum mit schnellen Schritten. Er bewegte sich nun viel sicherer in der Dunkelheit. Leise entriegelte er die Tür. Sein Herz wummerte in seiner Brust, doch die Spannung nahm ihm jetzt nicht mehr den Atem, sondern schärfte seine Konzentration. Er schlüpfte durch die Tür an die frische Luft.
Das kühle, mittlerweile wohl vertraute Nass des Regens empfing ihn. Eine Sekunde lauschte er, doch er konnte immer noch keine Geräusche ausmachen. Der Regen verschluckte alles. Er begann zu rennen. Es war nicht weit bis zur nächsten Baracke und dennoch kam ihm der Weg endlos vor. Plötzlich war er sich sicher, gedämpfte Schreie zu hören. So als hielte jemand einem anderen den Mund zu, oder als sei jemand geknebelt. Thomas legte an Tempo zu, doch der glitschige Boden erschwerte ihm das Laufen. Er wagte es nicht, darüber nachzudenken, was die Schreie zu bedeuten hatten. Er erkannte die Stimme nicht, dazu
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