Uschi Zietsch
zornsprühenden dunklen Augen sah; der Junge wollte sich auch nicht von Melwin helfen lassen, sondern kämpfte sich schimpfend und äch-zend selbst hoch in den Sattel und presste die Schenkel zusammen. Melwin, der ein Schmunzeln kaum mehr verbergen konnte, rief ihm wieder die Befehle zu, und er führte sie genau aus. Die Stute gab nach einem schwachen Bocksprung und einem letzten wütenden Umherhopsen schließlich auf, und Kelric führte sie stolz und strahlend im Kreis herum.
»Na?«, rief Melwin. »Immer noch Angst?«
»Nein!«, lachte Kelric. »Jetzt ist es schön!«
In den nächsten Tagen hatte Kelric keine Zeit, auf seinen Muskelkater zu achten, denn er lernte richtig reiten, was ihm sehr viel Spaß machte, und außerdem war er mit der Beobachtung seiner Umwelt beschäftigt: Er entdeckte nun, vom kleinsten Krabbelkäfer angefangen, tausenderlei Tritte im weichen Boden, von denen viele aufregende Namen hatten, die ihm Fergon mit Vergnügen nannte. Mit der Zeit erblickte Kelric unzählige kleine Nager in den Bäumen, huschende Mäuse und Kaninchenartige am Boden, viele Rehwildarten und andere ihm unbekannte Bewohner der Wälder; einmal konnte er sogar die gewaltige Geweihspitze und das lange Ohr eines Riesenelks erhaschen; oftmals, vor allem in der Dämmerung, hörte er das Jaulen von Füchsen und das heisere Bellen von Waldkatzen; nur die ganz großen Raubtiere und die Wölfe sah und hörte er nie, worüber er allerdings nicht unglücklich war. Es gab nur wenige Stunden in der Nacht, in denen völlige Stille herrschte, denn die Vögel erwachten früh und schliefen spät ein; manche von ihnen, besonders die kleinwinzigen, waren so zutraulich, dass sie sich wie Schmetterlinge für kurze Zeit auf den Menschen oder den Pferden niederließen, fröhlich piepsten und sich putzten, bevor sie ihren Weg fortsetzten.
Einmal erschaute Kelric auf einem Ast dicht über sich ein ganz sonderbares Tier, etwa kaninchengroß mit wolligem schwarzblauen Fell und einem langen weißen Greifschwanz, mit vier kräftigen kurzen Beinen, einem runden Kopf mit hellblau-schwarzer Gesichtsmaske und einer schwarzen schnuppernden Knopfnase, mit großen Löffelohren, die zumeist lässig herabhingen, aber bei Neugier steil aufgestellt wurden – nämlich in diesem Moment, als große runde, violette Augen Kelric ruhig und interessiert musterten.
Der Junge starrte gespannt zu dem Wesen hinauf, das trotz seines putzigen Aussehens irgendwie Würde ausstrahlte, und das vor allem durch seine Augen faszinierte, denn in ihnen lag nicht die natürliche Wildheit und Klarheit eines Tieres, sondern sie waren sehr still und tief, von großer Sanftmut und – Wissen .
Der Baumbewohner verharrte nur einen winzigen Augenblick lang völlig reglos, während sich die Blicke der beiden verschiedenartigen Wesen trafen, dann machte das Tier eine leise, kaum merkliche Bewegung und war wie durch Zauberhand verschwunden, ohne dass ein Blatt raschelte oder sich auch nur bewegte.
»Was war das?«, flüsterte Kelric.
»Ein Wompet«, erklärte Melwin leise neben ihm. »Ein kluges, sehr scheues Tier, das uns Menschen liebt, denn es sucht häufig unsere Nähe oder warnt uns vor Gefahr mit einem schrillen Pfiff. Aber niemals kam es einem Menschen näher als uns jetzt. Wir wissen nichts über diese Geschöpfe, und woher der Name Wompet stammt, weiß keiner mehr.«
Fergon, der um sich gesehen hatte, sprach dazwischen:
»Ich bin dafür, das Nachtlager aufzuschlagen. Es ist spät, und die Pferde bedürfen einer Rast.«
»Wie lange brauchen wir noch?«
»Bis wir Hungerland erreichen? Etwa drei Tage. Siehst du den Südstern oben am Himmel aufblinken? Wenn der Alte Mann heute Nacht ganz nah bei ihm steht, haben wir die dritte Sternenwanderung seit Beginn der Reise hinter uns. Eine lange Zeit, aber dann geht es schneller.«
»Hungerland? (Schauder) Was ... äh ... was erwartet uns da?«
»Eine fahlbraune Kieselsteppe und Felsen. Ein hügeliges Karstland, unwegsam und steinig, mit einem höhlendurchzogenen Felsengebirge in der Mitte, aber da kommen wir nicht hin.«
»Und was lebt dort?«
Die Zauberer tauschten einen Blick miteinander. Zögernd antwortete Fergon: »Warte es ab, Junge! Alles zu seiner Zeit.«
Kelric schwieg, aber er spürte eine dunkle Wolke in seinem Verstand. Vorsichtig ließ er seinen Geist nach den Gedanken der Magier tasten, aber sie hatten es rasch gelernt, ihren Verstand vor seinem Zugriff verschlossen zu halten.
In der Nacht konnte Kelric nicht
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