Uschi Zietsch
und ihm den Becher an den Mund drückten. Gehorsam, mit geschlossenen Augen trank er, er wollte niemanden sehen, nie mehr.
»Trink!«, sagte da eine vertraute warme Stimme. »Bald wird es helfen.«
Kelric riss die Augen auf und starrte in Melwins schönes, trauriges Gesicht.
Mit einem Aufschrei umklammerte Kelric den Freund und drückte sich bebend und weinend an ihn.
»Melwin!«, schluchzte er. »Melwin, Melwin!«
Der Magier hielt ihn fest umarmt und strich ihm über den Kopf, auf dem bereits die ersten weißen Haare sichtbar wurden. »Ich weiß«, flüsterte er. »Ich weiß ja, Kelric.«
»Dass ... dass du hier bist ... «, stammelte Kelric tränenerstickt. Sein abgemagerter Körper zitterte vor Schwäche.
»Ich sagte es doch, Kelric«, erwiderte Melwin sanft. »Ich versprach dir einst, dass ich bei dir sein werde, wenn du mich brauchst.«
»Ich will sterben«, hauchte Kelric. »O Melwin, warum, warum nur?«
»Ein grausames Schicksal, verursacht von Oloïn, zwingt uns dazu«, erklärte Melwin leise. »Er konnte uns nicht vernichten, aber er ist stärker als Elwin, und sein Fluch verstümmelt uns. Aber eines ist dadurch wahr und perfekt geworden: Wir sind wahrhaftig unangreifbar, nicht erpressbar, nicht aggressiv, unablenkbar, unsere Sinne nur auf unsere Aufgabe gerichtet. Durch unsere Kastration sind wir nicht mehr fähig, tiefe, leidenschaftliche Gefühle zu empfinden, die uns von unserer Aufgabe ablenken können. Zum Teil jedenfalls. Angreifbar sind wir gewiss nicht mehr. Wir können mit niemandem eine enge Verbindung eingehen, denn mit diesem Entsetzen leben wir allein, und wer solchen Schmerz erlebt hat, der empfindet nie wieder Furcht vor Folter. Wir haben tausende Mittel versucht, aber keines betäubte so sehr, dass die jungen Männer nichts gespürt oder begriffen hätten. Oloïn will es so, er hasst uns, und wir können nichts dagegen tun. Wenn wir unsere Männlichkeit behalten wollen, verlieren wir die Zaubermacht. So müssen wir uns für die Menschen opfern. Die Menschen glauben an unser Zölibat und jene Gründe, die Lord Sargon einst deiner Mutter erklärte. Aber sie dürfen niemals die Wahrheit erfahren, denn die Folgen wären entsetzlich.«
Kelric wimmerte leise. »Aber warum jetzt? Und nicht als Kind?«
»Oloïn hat natürlich seine grausame Freude an unserem Schmerz. Darüber hinaus aber wäre die Wahrheit rasch bekannt, denn du hättest weder eine tiefe Stimme noch wärst du normal behaart. Bis auf die Potenz haben wir nichts von unserer Männlichkeit verloren.« Melwin ergriff Kelrics kalte Hände. »Dieses Getränk, das du ständig bekommst, ist die DROGE. Sie hilft dir, den seelischen Schock zu überstehen. Es wird nur jene, dir bald vertraute Trauer in dir zurückbleiben, und sie kann dir auch die Einsamkeit nicht nehmen, aber sie hilft sie zu ertragen. Sie wird dir Ruhe und die Magie schenken, und sie wird dir den Mund über der Wahrheit verschließen. Außerhalb dieser Heiligen Räume können wir nicht darüber reden. Dank der DROGE werden wir auch älter als normale Menschen, aber sie beschert uns einen grausamen Tod, denn die letzten beiden Lebensjahre wirkt sie zersetzend. Doch das ist jetzt nicht von Bedeutung, denn bis dahin hast du ein langes, gesundes Leben vor dir.«
Melwin drückte seine Hände fest. »Kelric, du wirst es schaffen. Alle schafften es, keiner hat jemals aufgegeben, und du bist sehr stark. Sobald die Wirkung der DROGE vollends einsetzt, wird sie dir alles erleichtern. Später wirst du verstehen, weshalb wir Zauberer diesen blutigen grausamen Preis zahlen: dafür werden die Menschen überleben, und ihnen gilt unsere Liebe. Es ist unsere Bestimmung.«
Kelric seufzte tief. »Ich werde hassen«, flüsterte er. »O Melwin, ich werde hassen wie nie zuvor, wenn ich Zauberer bin. Diesen Gott, dem mein ganzer Lebenskampf gilt. Ich werde Oloïn immer hassen können.« Er setzte sich auf. »Du bleibst doch da?«, flehte er. »Du verlässt mich nicht?«
»Natürlich nicht, kleiner Bruder.« Melwin schluckte kummervoll, als er das unheilvolle Feuer in Kelrics blaugesprenkelten Augen sah. »Das weißt du doch.«
Kelric weinte still an Melwins Schulter, bis er erschöpft einschlief.
Melwin ließ ein Lager in Kelrics Zimmer aufstellen. Sie blieben Tag und Nacht zusammen; während Kelric die ersten Schritte unternahm, stellte Melwin überrascht und nicht ohne Bewunderung fest: »Du bist mir ja über den Kopf gewachsen, und ich gelte schon als groß! Du liebe Zeit, da
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