Uschi Zietsch
wir wieder zueinander finden«, sagte er überzeugt. »Da müssen schon andere Dinge geschehen, um eine Freundschaft beenden zu können.«
Fandor lächelte. »Ich wünsche es mir«, sagte er leise, wandte sich ab und ging.
Kelric sah ihn erst zwei Sternenwanderungen später wieder, und nur aus der Ferne, und er entdeckte auf Fandors Antlitz denselben wohlbekannten Ausdruck wie bei allen Anwärtern. Er sehnte sich danach, auf ihn zuzulaufen und ihm Fragen zu stellen, aber die gewohnte Scheu hielt ihn zurück. Er hatte heimlich versucht, seinen Geist in das Untere Gewölbe hinabzuschicken, aber ein starker Zauber hatte ihn zurückgeworfen, und er war so erschrocken gewesen, dass er keinen zweiten Versuch mehr unternahm. Auch jetzt sandte er in unerklärlicher Angst seine Gedankenfühler nicht aus. Er zuckte zusammen, als Fandor sich trotzdem in diesem Moment zu ihm umdrehte und ihn anschaute, und während Kelric voller Grauen ein abgrundtiefes Entsetzen in den Augen des Freundes las, hob dieser im gleichen Augenblick den Arm und winkte ihm kurz zu; und da durchströmten ihn Zuversicht und Erleichterung, denn Fandor erinnerte sich an ihn und an das Band zwischen ihnen.
10.
Prüfung
Kelric hatte sein Wissen bewiesen. Die Fragen waren ohnehin viel zu leicht gewesen, fand er; seine anfängliche Aufregung hatte sich schnell gelegt, als die Prüfer ihn freundlich anlächelten und ihm beruhigende Worte zusprachen. Er befand sich in einem kleinen holzvertäfelten Raum in dem düsteren Kellergewölbe unter den Hauptgebäuden der Schule; in dem Zimmer gab es nur zwei nebeneinander gestellte Tische mit den Stühlen der Prüfer dahinter; der Prüfling stand davor und gab sein theoretisches Können preis. Die Tafel durfte er benutzen, aber Kelric verschwendete keinen Blick auf sie, sondern beantwortete mühelos und ohne langes Nachdenken alle Fragen, anfangs ein wenig zittrig, später ruhig und sicher. Danach erhoben sich die Prüfer, kamen um den Tisch herum und schüttelten ihm gratulierend die Hand, bevor sie sich zurückzogen und ihn allein ließen.
Kelric musste einige Zeit unruhig warten. Als er vorsichtig seine Gedankenfühler ausstreckte, erhielt er einen so heftigen Abwehrschlag des schon einmal erlebten alten Zaubers, dass er sich verstört und verschüchtert zurückzog. Schließlich kam ein Mann, den Kelric noch nie gesehen hatte; seine gedrungene, aufgeschwemmte Figur und die bleiche Haut verrieten, dass er sehr selten am hellen Tageslicht weilte.
»Kelric von Loïree«, sprach der Mann mit getragener, feierlicher Stimme, »du hast die Prüfung zum Zauberanwärter glänzend bestanden. Der schwerste Test jedoch liegt noch vor dir, und es ist deine Entscheidung, ob du den Weg beschreiten willst. Hier an dieser Stelle kannst du noch umkehren und ein anderes Leben führen, doch wenn du mir nun folgen willst, so wisse, dass du danach nie mehr dir selbst gehören wirst, sondern nach bestandener Zaubererprüfung den Menschen dienen und die geheimen Gesetze von Laïre einhalten musst. Was nun geschieht, verlangt strengste Geheimhaltung. Nur ein einziges Wort über dieses Gewölbe wäre schon dein Todesurteil.
Kelric von Loïree, ich frage dich zum zweiten Mal: Bist du bereit, mit mir zu gehen und den schweren Preis für deine Freiheit zu zahlen?«
Kelric spürte, wie würgende Angst ihm die Kehle umschloss. Wenn er nur wüsste, was ihn erwartete! Hatte er wirklich genug darüber nachgedacht? Wusste er, was er tat?
»Dies ist ein endgültiger Schritt«, fuhr der Mann fort. »Du kannst den Entschluss nie mehr ändern. Folgst du mir nun, wirst du für immer ein Diener Laïres und der Menschheit sein. Du bist dann ein Zauberer und damit über die meisten Völker erhaben, doch du darfst deine Macht niemals missbrauchen. Und du darfst niemals offenbaren, was hier geschieht. Dies ist das erste und einzige Tabu, das dir auferlegt wird, und zwar für immer.
Kelric von Loïree, ich frage dich zum dritten Mal: Willst du den endgültigen Schritt gehen?«
Plötzlich fiel alle Last von Kelric ab. Natürlich wollte er es, all die Jahre über hatte er genau darauf hingearbeitet, hatte gelernt und studiert, um eines Tages seinen Schwur zu erfüllen: Lerranee von dem Fluch des Gelben Gottes zu befreien. Und er dachte daran, dass ohne Ausnahme alle anderen vor ihm denselben Weg ohne Feigheit gegangen waren, und so sagte er ruhig:
»Ja, ich bin bereit.«
Der Mann nickte und trat mit einer dicken schwarzen Binde vor ihn hin, die er
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