Uschi Zietsch
merkt man die sieben Jahre doch! Du bist jetzt wirklich ein erwachsener und noch dazu sehr gebildeter Mann, wie ich natürlich längst hörte. Ich bin sehr stolz auf dich.«
»Mann?« , fragte Kelric bitter und verachtungsvoll.
»Ja, Mann , Kelric. Glaubst du denn, die Potenz deiner Hoden allein macht einen Mann aus? O nein, da gehört viel mehr dazu! Oder würdest du mich als unmännlich bezeichnen?«
»Nein ... im Gegenteil ...«
»Siehst du, und auch du hast dir eine gehörige Portion Männlichkeit bewahrt. So, wie du aussiehst, sprichst und dich bewegst ...«
»Das ist kein Trost«, unterbrach ihn Kelric.
»Doch, und ob! Jetzt fühlst du dich betrogen und bestohlen, und du weißt, dass du etwas versäumst. Aber bald werden diese Dinge uninteressant für dich sein; bis auf eine bestimmte Art von Liebe mir, Laïre und den Menschen gegenüber wirst du nämlich kaum mehr heftige Empfindungen haben. Du wirst Mitleid, Trauer und Sorge kennen, aber keinen niederen verzehrenden Hass, rasenden Zorn, Unbeherrschtheit, blutrünstigen Rachedurst und Mordlust. Und das erhebt dich über alle anderen, und das ist es, worum sie dich beneiden.«
»Aber ich werde immer einsam sein und niemals ein Kind mein eigen nennen dürfen.«
»Ja, das ist entsetzlich und grausam und eine ewige Trauer in uns. Ohne die DROGE würden manche deswegen vielleicht wahnsinnig. Aber dafür erlebst du in deiner Hingabe an die Magie eine Ekstase, wie du sie im Liebesakt nie empfinden könntest, und das wiegt alles auf und macht dich unendlich reich und glücklich. «
»Woher willst du das so genau wissen?«, fragte Kelric scharf. »Hast du es denn erlebt?«
Melwin schwieg einen Augenblick und sah zu Boden, dann sagte er ruhig: »Ja.«
»Was ...«, begann Kelric verblüfft. »Was heißt ja ?«
»Kelric.« Melwin sah ihn an. »Wann hast du das erste Mal eine Erektion gehabt? Eine richtige, meine ich?«
»Wie? Äh ... ich war dreizehn oder vierzehn, glaube ich.«
»Nun, siehst du?« Melwin blickte versonnen in die Ferne. »Als ich hierher kam, war ich vierzehn. Bis zu den Höhleneingängen war ich den ganzen Weg allein gewandert. Ich kam von Lindala in das Grau Land, und da ich ein Junge war, wurde ich überall gastfreundlich aufgenommen. Einmal lud mich eine junge Witwe zu sich ein, die vielleicht zehn Jahre älter war als ich. Sie war ätherisch zart und lieblich, und wir unterhielten uns gut. Sie gab mir Wein, der mir natürlich zu Kopf stieg, und plötzlich, ich wusste nicht wie, umarmte und küsste ich sie unbeholfen, und sie wehrte sich nicht, sondern erwiderte meine Ungeschicklichkeit mit erfahrener Zärtlichkeit, und wir teilten das Lager, und zwar die ganze Nacht.«
Kelric starrte Melwin an. »Und wie war es?«, flüsterte er neiderfüllt.
»Unvergleichlich«, antwortete Melwin. »Es sind Gefühle, die man nicht beschreiben kann. Die reine Wollust, wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Aber in der Vereinigung mit der Magie fand ich mehr Erfüllung und Freude. Ich habe meinen Schritt nie bereuen müssen, und an den leisen Schmerz bin ich gewöhnt.«
Kelric setzte sich still hin.
»Verstehst du?«, fuhr Melwin fort. »Körperlich sind wir unwiederbringlich Krüppel. Aber geistig gesund zu bleiben, liegt an uns, denn die DROGE unterstützt uns. Im Gegensatz zu uns sind die magieunbegabten Menschen seelische Krüppel, denn sie kennen die Erfahrung der geistigen Ekstase nicht – und glaub mir, in diesem Augenblick reagiert selbst dein Körper.«
Kelric sah stumm zu ihm auf, aber zum ersten Mal lag Leben in seinen nunmehr blau gewordenen Augen.
Später erzählte Kelric von seinen letzten Jahren. Melwin hingegen wich seinen Fragen aus; Kelric respektierte schließlich die Schweigsamkeit des Freundes und hakte nicht weiter nach. Dank Melwins Hilfe erholte er sich schnell und konnte bereits nach einer Sternenwanderung als gesund betrachtet werden. Er erkundigte sich nach seinen Freunden, die mit ihm die Prüfung abgelegt hatten, und erfuhr, dass sie alle noch eine weitere Sternenwanderung brauchen würden. Obwohl er darum bat, durfte er niemanden besuchen. Er streifte nun an manchen Tagen allein in den Gewölben umher, erkundete sie und unterhielt sich mit den Menschen, die freiwillig hier unten lebten und alle von besonderer Stille und Ernsthaftigkeit waren. So fand er sich eines Tages plötzlich allein in seinem Raum, das zweite Bett fehlte, und er erkundigte sich erschrocken, wo Melwin geblieben sei. Der angesprochene Mann
Weitere Kostenlose Bücher