Uschi Zietsch
nunmehr entwickelten Gedankengabe alles tun kannst.«
»Dann werden wir endlich Eins sein?«, wisperte sie.
»Ganz und gar«, murmelte er und küsste sie.
An Kelrics Seite zog Gorwyna am nächsten Tag aus Laïre fort, dem Alten Zauberer entgegen. Sie spürte sehr wohl den Hass in Kelric, der ihm die Kraft zum Überleben gegeben hatte, aber sie sprach nicht darüber; alle Furcht vor der Zukunft, alle Fragen und quälende Unsicherheit waren vergessen, seit sie auch körperlich zu seiner Frau geworden war. Sie war zufrieden, ständig bei ihm sein zu dürfen und die Gedanken mit ihm zu teilen.
Während sie in gutem Schritt durch das frühlingshaft erwachende Land wanderten, von strahlendem Wetter begleitet, brach Gorwynas natürliche Fröhlichkeit und Jugend wieder hervor.
»Kelric, ist das schön! «, jubelte sie, als sie helle Mischwälder durchquerten, die sich im ersten zarten Grün färbten. Selbst die Stämme der Nadelbäume standen so weit auseinander, dass der von neuem Gras und Moos bedeckte Boden gesprenkelt war von Sonnenlicht, das wärmend kleine Veilchen und Moosröschen streichelte. Die Wälder zogen sich, abgewechselt von Obsthainen, über Hügel hin, mit Kolonien von mächtigen Linden, zarten Birken, vereinzelten Buchen und Weiden mit Büschen an den Rändern, mit finsteren Eichengruppen und stillen Fichten und Kiefern; in den Senken versteckten sich liebliche Lichtungen, manche von bereits hohem Gras und Buschwerk durchwuchert; andere besaßen kleine, von laut quakenden Fröschen bewohnte Tümpel. Da sie leise und gleichmäßig gingen, erhaschten sie oft einen Blick auf scheue Waldbewohner, die die freie Sonne und die leckeren Kräuter auf den Lichtungen genossen. Die würzige Luft machte Gorwyna immer lebendiger, und sie begann spielerisch zu tanzen, sich in leichten Sprüngen zu drehen und zu wenden, während sie sich selbst mit Gesang begleitete; ihr Gesicht leuchtete und strahlte vor Freude, und sie sah mehr denn je wie eine Fee aus.
Kelric fühlte Zärtlichkeit in sich, während er ihr zusah und die Helligkeit ihrer übersprudelnden Gedanken fühlte. Für diese Augenblicke war die Wirklichkeit vergessen, und sie fühlten sich als die einzigen Menschen der Welt.
»Kleiner Wirbelwind«, murmelte er lächelnd und fing sie auf, als sie an ihm vorbeiflog. »Langsam, Kind!«
Sie lachte ihn atemlos an. »Aber es ist so wunderbar!«, rief sie. »Ich muss mich freuen!« Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. »Ich bin so glücklich, Kelric! Kommen wir bald wieder hierher?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Alles zu seiner Zeit.« Sein Blick schweifte versonnen in die Ferne. »Als Kind war ich genauso glücklich wie du, als ich hier zum ersten Mal war. Es war schön, aber ich konnte nicht verweilen. Solche Augenblicke, mein Herz, gibt es nie zweimal im Leben. Ähnliche Momente ja, aber nie dieselben. Denn stets wird man älter, und die Gedanken und Gefühle wandeln wie die Natur ihr Antlitz.«
Er legte einen Arm um ihre Schultern und ging langsam mit ihr weiter. Die Wirklichkeit nahm sie gefangen.
Schließlich verließen sie die Wälder und durchquerten grüne Täler, auf deren Hügelkuppen mächtige einzelne Wächterbäume standen. Nach dem langen finsteren Weg durch das Nebelgebirge betraten sie im voll erwachten Frühling das Grau Land; eine große steppenartige, wilde und fremde Landschaft, an der Gorwyna fasziniert Gefallen fand. Es gab immer neue Gegenden zu entdecken.
Noch während sie Kelric staunend folgte, merkte sie, wie er plötzlich zusammenzuckte und stehen blieb und einen seltsam gehetzten Blick um sich warf.
»Was hast du?«, fragte sie erschrocken.
»Warte hier!«, bat er und lief schnell den Weg ein ganzes Stück zurück in die Berge, bis sie ihn aus den Augen verlor. Von unerklärlicher Furcht ergriffen, wagte sie weder zu rufen noch ihm zu folgen; unruhig und voller Sorge setzte sie sich auf den braunen Erdboden und ließ ihren Geist in dem Land herumschweifen, ohne einen Hinweis für Kelrics seltsames Benehmen zu erhalten.
Nach einigen Stunden kehrte er zurück, sein Gesicht zeigte Betroffenheit, und er setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.
»Vor dir siehst du den größten Narr dieser Welt«, sagte er ernst. »Dank meiner eitlen Überheblichkeit habe ich uns beide Oloïn in die Hände gespielt.« Er verstummte und richtete seinen Blick in die Ferne. »Es war alles sein Plan, und ganz gleich, wie ich auch handeln würde, musste er in
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