Uschi Zietsch
gegenübertreten muss. Niemand als ein Gott kann unsere Waffe vernichten. Wir haben einen schweren Kampf vor uns, aber alle Aussichten, ihn zu gewinnen.« Er schwieg einen Moment, bevor er hinzufügte: »Kelric wollte, dass ich Euch das zeige, bevor Ihr das Gewölbe verlasst.«
Gorwyna starrte weiterhin in den Abgrund hinunter. Mit ihren Gedankenfühlern ertastete sie den Herzschlag des ihr unbekannten Wesens und erkannte an ihm die Wurzeln von Laïre. Sie hatte keinerlei Angst mehr vor dem gigantischen Etwas, denn sie wusste, dass sie dank seiner Macht in der Zaubererstadt hatte landen dürfen – mit magischfeinen Fühlern hatte das Wesen in ihr eine Gleichgesinnte erkannt.
»Er ist tot, nicht wahr?«, fragte sie dann leise. »Ich wusste schon seit dem Regental, dass er mich belogen hat. Nachts, wenn er glaubte, dass ich schlief, hustete er Blut, und ich sah den Schmerz auf seinem Gesicht. Als die Dwargs behaupteten, er sei gesund, wurde mir klar, dass er sterben musste. Aber er wollte nicht darüber sprechen, und so schwieg auch ich. Ich wollte ihm keine Sorgen bereiten; er sollte einmal nur an sich denken. Deshalb gab ich mich auch stets mit Euren Antworten zufrieden, obwohl ich sie nie glauben konnte.« Sie sah zu dem Lordmeister auf. »Aber hier«, sie legte eine Hand an ihr Herz, »hier kann ich ihn noch immer spüren, warm und lebendig, und ich werde immer daran festhalten, dass er lebt und wohlauf ist. Ich habe nie aufgehört, an ihn zu glauben, und seine Stärke.«
»Gorwyna«, unterbrach Fandor sie und umarmte sie plötzlich. »Gorwyna, Gorwyna!« Sie sah, dass er weinte, aber sein Mund lächelte. »Ihr habt es die ganze Zeit gewusst und mich dummes Zeug stammeln lassen«, fuhr er fort. »Gorwyna, Ihr seid unglaublich, solche Narren aus uns zu machen, weil wir glaubten, Euch beschützen zu müssen. Dabei beschützt Ihr uns!«
»Ich verstehe nicht ...«, begann sie.
»Aber er lebt doch!«, lachte er. »Kelric hat wieder gegen den Tod gesiegt! Der Himmel wurde gelb, so hat Oloïn getobt, als Kelric aufstand und lachte. Die ganze furchtbare Nacht der Sonnenwende habe ich ihn in meinen Armen gehalten, und er schlief und atmete immer weniger, und ich war jeden Moment darauf gefasst, dass er uns verließe. Aber gegen Morgen wurde sein Herzschlag plötzlich kräftiger, und dann kam er zu sich und blickte mich mit klaren Augen an! Es war überstanden, und ab diesem Zeitpunkt habe ich Euch nicht mehr belogen. Kelric war schwach wie ein Kind und brauchte die Zeit der Erholung, genauso wie Ihr, aber nun ist er wieder wohlauf. Und nun, da Euch Laïres größtes Geheimnis offenbart wurde, ist es an der Zeit, dass Ihr an die Oberfläche zurückkehrt – und zu Eurem Mann.«
Sie hob die Hände an ihren Mund, um den Aufschrei zu unterdrücken. »Ich bin so glücklich«, flüsterte sie gepresst. »Bitte bringt mich zu ihm!«
19.
Der Kampf des Sternwolfs
Kelric war abgemagert, das Gesicht gezeichnet von seinem schweren Kampf; aber seine Stimme war kräftig wie immer, als er Gorwynas Namen rief, und auch die Augen glänzten in unternehmungslustigem Blau. Er wirkte um einige Jahre jünger, da er nun wieder ganz gesund war. Gorwyna sah die stillvergnügte Heiterkeit und Bewunderung in seinen Augen, als er sie betrachtete. Durch die langen weißen Haare, die nunmehr wissenden blauen Augen und die Goldbronzehaut wirkte sie reifer, vor allem aber noch lieblicher und graziler.
»Meine Libelle«, sagte er, als er sie umarmte, zitternd vor Freude. »Ich konnte es kaum mehr erwarten, dich wiederzusehen, nachdem Fandor mir so viel erzählte.«
Sie lachte unter Tränen. »Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt, dass es schmerzte, mein Magier. So viele Aufgaben ich auch zu bewältigen hatte, dafür war immer noch Zeit. Und nun sieh mich an, ich bin eine von euch, die erste Frau Laïres! Es ist unglaublich, und ich bin so durcheinander, dass ich nicht weiß, was ich empfinde ... so viel auf einmal.«
An diesem Tag schien Laïre noch heller und reiner zu strahlen als sonst. Die ganze Schule versammelte sich vor der Mittagsstunde in der großen Halle zu einem Festmahl zu Ehren von Lord Kelric und Lady Gorwyna, und auch im nochmaligen stillen Gedenken an Lord Melwin, dessen Verlust nach wie vor tief schmerzte.
Gorwyna konnte immer noch nicht fassen, wie freundlich sie aufgenommen wurde. Die Zauberer schienen überglücklich zu sein, dass die strengen Regeln der Bruderschaft aufgebrochen waren; es war fast, als würde die Last
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