Utopia 2050
Cid auf sein Pferd, und als Toter ritt er zum Tor Valencias hinaus, um die Araber in die Flucht zu jagen. Auf ähnliche Weise können wir Wallys Körper benutzen, um jene Leute zu stürzen, die ihn zuerst seines Verstandes und dann seines Lebens beraubt haben.«
»Cid?« Carwell starrte ihn an.
»Ein Spanier des Mittelalters.« Et wandte sich vom Bett ab. »Sein richtiger Name lautete Rodrigo Diaz de Vivar. Cid stammt vom arabischen Wort sid. Das heißt ›Herr‹.« Sie gingen hinaus. Draußen standen zwei Männer in weißen Trainingsanzügen und mit allerlei Sportgeräten. Et und Carwell nickten ihnen zu und schritten durch den Korridor zum Ausgang. »Sie sind MGW, vermute ich?« fragte Et, als sie den Rasen vor dem Haus betraten.
»Sogar solche, denen wir vertrauen können«, antwortete Carwell. »Und überdies hervorragende Therapeuten. Sie brauchen nicht den leisesten Zweifel daran zu hegen, daß sie mit Wally ...« Er zögerte. »Sie werden so fürsorglich und behutsam mit ihm umgehen wie Sie's selbst tun würden.«
Et nickte. »Ich will's Ihnen glauben. Aber nach Wallys Anblick und beim Gedanken an die alte Gepflogenheit des Abrichtens von Tieren fällt es mir schwer, mich mit ihnen anzufreunden.«
»Sie sind ein R-Meister«, sagte Carwell. »Sie sollten sich nicht von alten Geschichten beeinflussen lassen.«
»Weiß ich, ob sie so alt sind?« meinte Et, indem er sich des Kampfes zwischen den Haien und Delphinen entsann. »Was würden Sie wetten, daß nicht irgendwo in der Welt ein Papagei Die Glocke aufsagt oder ein Schimpanse Querflöte spielt?«
»Falls es so etwas gibt«, sagte Carwell, »sind die Leute, die diese Tiere dazu mißbraucht haben, bereits in Haft oder werden es bald sein. Die Ursprünge der Verhaltenstherapie mögen in der Tierdressur liegen, aber heute ist sie eine Methode der Medizin, um Menschen zu helfen, die an einem durch Unfall oder erblich bedingten Mangel leiden. In den rechten Händen, Et, ist sie beileibe kein Spielzeug, sondern ein Werkzeug.«
Et sah den Arzt von der Seite an. »Morgan, was heißt das, Therapie?« Carwell gab keine Antwort. »Wally wird nicht trainiert, damit er sich im Leben besser zurechtfinden kann. Für ihn gibt es kein Leben, und es wird nie wieder eines geben. Wir bringen ihm ein paar Tricks bei, die ihn befähigen, meine Rolle zu spielen. Das ist die Anweisung, die ich erteilt habe. Erinnern Sie sich? Was daran soll Therapie sein?« Carwell schwieg noch immer. Nur seine breiten Schultern krümmten sich ein wenig stärker vornüber. Er wirkte wie ein riesiger, verwundeter Bär, der sich dahinschleppt, und plötzlich kehrten Ets Schmerz und Widerwillen sich ganz gegen ihn selbst. Er blieb stehen. Diesmal legte er dem Arzt eine Hand auf die Schulter. »Verdammt nochmal, Morgan, hören Sie nicht auf mich! Sie wissen, daß ich Ihnen die Schuld für etwas zuschiebe, wofür ich allein die Verantwortung trage. Es war meine Idee, aus Wally eine lebendige Marionette zu machen, nicht Ihre. Ich weiß, Sie sind Arzt und haben den Eid abgelegt, das Leid stets zu lindern, und ich zwinge Sie zur Teilnahme an dieser Sache mit Wally, dann belehre ich Sie über die medizinische Ethik. So war ich nicht immer. Aber jetzt bin ich's. Also hören Sie gar nicht hin, wenn ich so rede.«
»Nein, nein.« Carwell schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ich kann meine Hände nicht in Unschuld waschen. Das kann niemand.« Er drehte sich um und überquerte mit hängenden Schultern den Rasen in Richtung auf einen anderen Teil des Gebäudes. Et blickte ihm nach. Dann fand er wieder Ablenkung in seinen Überlegungen, wie alle Gefahren bei der Verwirklichung ihres Vorhabens, sich Informationen aus dem Null-null-Archiv zu erschleichen, ausgeschlossen werden konnten.
Wallys Training dauerte zwei Wochen. Unterdessen sicherten Rico und Maea durch vielfältige Verbindungen zwischen MGW und WK-Mitarbeitern das Zustandekommen einer falschen Genehmigung für den Direktor des Naturgeschichtlichen Museums im richtigen Moment. Mehr gegen seinen Willen verfolgte Et das Training; häufig vermochte er sich nicht fernzuhalten. Für jemanden, der sich weder in der Geschichte noch in den Techniken der Verhaltenstherapie auskannte, waren die Ergebnisse erstaunlich. Am Ende der zweiten Woche war Wally in der Lage, morgens ohne Hilfe aus dem Bett zu steigen, sich allein anzukleiden und in Begleitung eines der Therapeuten Spaziergänge zu unternehmen. Dennoch widerspiegelten seine Augen nicht einmal einen
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