Utopolis
Turm legte, konnten diese Strahlen nicht mehr auf uns einwirken und wir wurden von der zerrüttenden Macht befreit.
Aber wir waren von aller Welt abgeschnitten. Die gewaltigen Kraftfelder, die den Turm einhüllten, saugten jede Radiowelle auf. Die Brücken und Gleise der Magnetbahnen waren zerschmolzen. Flugzeuge wären im elektrischen Feld sofort verbrannt.
Daß ich der gefährlichen Strahlung so ziemlich standgehalten hatte, erklärten wir uns daraus, daß mein Organismus durch mein Leben in der alten Welt gegen ihre Laster immunisiert wäre.
Noris erhob sich und sprach feierlich: »Genossen, meine Gutgläubigkeit hat unsern Arbeiterstaat in ungeheure Gefahr gestürzt. Ich fühle mich nicht mehr würdig, Haupt des Zentralrates zu sein und lege den Vorsitz nieder. Wenn noch einer helfen kann, so ist es Joll. Ich trete meinen Platz an Joll ab.«
Er verließ seinen Sessel und setzte sich an das Ende der Tafel.
Minutenlanges Schweigen begleitete diese folgenschwere Erklärung.
Dann nahm Tirwa das Wort und dankte ihm für seinen Verzicht. Alle erhoben sich und reichten Noris die Hand, der marmorn, ohne zu zittern, unter uns stand. Ein Mann.
Joll wurde mit den Vollmachten eines Diktators ausgestattet.
Ich sollte ihm die Nachricht überbringen.
Ein Flugzeug wurde startbereit gemacht.
Auf dreißig Sekunden sollten die elektrischen Kraftfelder ausgeschaltet werden.
In so kurzer Zeit, hofften wir, würden die mörderischen Strahlen nicht Macht über denjenigen gewinnen, der den Hebel wieder zurückschalten mußte. Diesen besonderen und verantwortungsvollen Dienst erbat sich Noris.
Wer ihm jetzt in die Augen sah, zweifelte keinen Augenblick, daß er nicht unterliegen würde.
Wir flogen ab. Ich hielt selbst das Steuer und überließ es dem Genossen Führer erst, als Utopolis weit hinter uns lag.
Während wir noch über der Stadt schwebten, sah ich im Spiegel einen Feuerschein. Ich wandte mich um. Vor dem Turm stürzte ein Flugzeug brennend ab. Es war am elektrischen Panzer zerschmettert.
Noris hatte Wort gehalten.
22
Joll umarmte mich. »Wie gehts – was ist los? – Den Panzer habt ihr noch schalten können – der Strom der Magnetbahn ist unterbrochen und wir erhalten keine Nachrichten mehr – daher weiß ich es.
Wie sieht es in der Stadt aus?
Wie viele Leute sind im Turm?
Was beschließt der Rat?«
Die Unsicherheit in seinem Wesen, die mich an ihm hatte verzweifeln lassen, war wie ausgewischt. Ich begriff, daß für einen Mann seiner Art nichts unerträglicher sein kann, als einer dunklen Gefahr tatenlos ausgeliefert zu sein. Bevor ich seine Fragen beantwortete, übergab ich ihm die Vollmacht des Zentralrates. Er las sie aufmerksam durch.
»Sie gehen weit. Jetzt haben sie großes Vertrauen zu mir …« Aus seinen Worten klang Bitterkeit.
Ich wollte nun mündlich berichten.
»Später!«
Joll lief in den Nachrichtenraum, ich konnte ihm kaum folgen. Er diktierte ein Geheimtelegramm an alle Räte in Utopien, legte ihnen knapp die Lage dar, häng te die Vollmacht des Zentralrates an und fragte, ob sie vorbehaltlos der Diktatur Joll zustimmen würden.
Für die Antwort setzte er zehn Minuten Bedenkzeit.
Während wir warteten, entwarf ich, so gut es ging, ein Bild meiner Erlebnisse in den letzten Stunden.
»Der Apparat, der diese Degenerationsstrahlen aus sendet, scheint äußerst kompliziert und kostbar zu sein,« überlegte Joll, »sonst hätte man in jeder großen Siedlung einen wirken lassen. Vielleicht aber ist die Maschine stark genug, um allmählich das ganze Land zu überdecken … Das wäre freilich schlimm …«
Während wir Vermutungen austauschten, liefen die Antworten der Räte aus den großen Städten und Industriezentren ein. Sie unterstellten sich ohne Ausnahme der Diktatur Joll und forderten Befehle.
Joll nickte, er hatte es nicht anders erwartet.
Seine erste Anweisung: Sämtliche Private sind Gefangene des Arbeiterstaates. Sie werden in Gemeinschaftshäusern untergebracht und scharf bewacht. Jeder Fluchtversuch wird mit dem Tode bestraft. Zur Ausführung dieses Befehles setzte er eine Frist von zwei Stunden.
Weitere Befehle folgten: Der Verkehr mit Utopolis ist eingestellt. Flugzeuge, die sich auf der Fahrt nach der Hauptstadt befinden, werden zurückgerufen …
»Werden unsre erkrankten Genossen nicht am Hunger zugrunde gehen, wenn du jede Zufuhr absperrst?« wandte ich schüchtern ein.
»Die Stadt ist mindestens auf zehn Tage mit Le bensmitteln versorgt«, sagte Joll.
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