Utopolis
Backenstreich und sagte obenhin: »Europäisches Dickblut, mein lieber Karl. Ein bißchen Hysterie steht manchen Frauen ausgezeichnet.« –
Nach einer Überlegungspause: »Man könnte überhaupt die Anschaffung von Pelzen seitens der Genossenschaft mal zur Sprache bringen. Will mir’s für die nächste Sitzung vormerken.«
Damit ließ sie mich stehen.
Ich stürzte in den Nachrichtensaal und ließ mich mit Joll verbinden.
Er hörte mich an, ohne mich zu unterbrechen und sagte ganz ruhig: »Stimmt schon. – Hat nichts zu bedeuten. Übrigens kannst du Noris von mir mitteilen, er soll sich nach C 43 richten. Nicht vergessen. Schönen Dank.«
Ich war vernichtet. Auch Joll fand alles in Ordnung? Das war das Ende. Und doch – seine Stimme hatte mir vertrauter und fester geklungen als gestern. Ich grübelte. Hatte er mir nicht gesagt, daß nach seiner Meinung die Privaten im Besitz der Geheimwellenverteilung seien, die für die Räte galt. Vielleicht wollte er sie durch scheinbare Gleichgültigkeit täuschen. C 43 – C 43 – sprach ich vor mich hin wie ein Kind, das seinen Auftrag solange auf der Straße wiederholt, bis es endlich vor dem Kaufmannsladen steht.
Kopfschmerzen quälten mich. Am liebsten wäre ich in meinen Kapitalistenrock geschlüpft und hätte mich in die Geldstadt eingeschlichen, um mich alkoholisch zu betäuben, dachte sogar an Elvira und das Himmelbett.
Um mich abzulenken, machte ich einen Abendspaziergang auf den Dachstraßen. Aus den Häusern klang Musik und Gejohle.
Plötzlich schwankten zwei Gestalten auf mich zu, grölten den Mond an und umarmten sich. Ich sah in der Hand des einen Mannes eine Flasche, entriß sie ihm und entzifferte das Etikett:
»Mumm-Extra«.
Die beiden fluchten, wollten sich auf mich stürzen, stolperten und wälzten sich wie Tiere am Boden.
Sie waren total betrunken.
21
Frühzeitig ließ ich mich bei Noris melden. Er war ungehalten über die Störung. Ich erzählte ihm in fliegenden Worten, was ich gesehen hatte. Schläfrig rieb er sich die Augen: »Nun – nun – das sind wohl leichte Übertreibungen, mein Lieber. Man darf es den Leuten nicht übelnehmen, wenn sie mal lustig sind.«
»Und der Schnaps?«
»Schnaps hin, Schnaps her. Ich habe meinen Lebtag noch keinen getrunken, aber vielleicht ist das Zeug gar nicht so teuflisch, wie man uns früher eingeredet hat. – Geh’ nur hinunter in den Sitzungsraum« – er dehnte sich – »diese verdammten Sitzungen – ich komme gleich nach.«
Die Mitglieder des Rates fanden sich höchst unpünktlich ein. Das hatte es noch nie gegeben. Tirwa, der Ernste, erheiterte eine Gruppe, die ihn umstand, mit den Späßen der »Königin von Navarra«.
»Ein verfluchtes Frauenzimmer«, sagte er schnal zend und schlug sich auf die Schenkel. »Trug bloß sei dene Hemden – wenn sie überhaupt was anhatte.« Die anderen wieherten.
»Erst soffen die sich den Buckel voll – damals mit Burgunder. Verstehst du was davon, he? – Und dann in die Lustschaukel. Und so alle Tage. Nicht übel, was?« Und er schlug der Sindra vertraulich zwinkernd aufs Gesäß.
Die kreischte lüstern auf: »Aber Tirwachen, seidene Hemden hab ich nicht.« Der Spaß war allgemein.
Zuletzt kam Noris. Er setzte sich widerwillig, und auch die anderen bequemten sich auf ihre Stühle.
»Genossen«, begann Noris, »mir kommt vor, unser Leben ist eine einzige Sitzung. Wir schinden uns ab, damit sich andere schöne Tage machen. Ist’s nicht so?«
»Verdammt wahr!« bekräftigte Tirwa. »Ich schlage erstens vor, daß wir uns heute einen Feiertag machen und mal lustig sind; und zweitens, daß wir künftighin nur wöchentlich einmal zusammenkommen. Wie? Un sere Karre läuft« – er gähnte und fuhr leichtsinnig fort – »und wenn sie nicht läuft, nun dann mögen sich andre kümmern …«
Dieser Vorschlag fand begeisterte Zustimmung. Die Stühle rückten. Man wollte aufbrechen.
Ich stellte mich vor die Tür und mochte wohl so drohend ausgesehen haben, daß man unwillkürlich zurückwich.
»Ihr seid alle vergiftet«, brüllte ich, »ihr seid wahnsinnig! Begreift ihr nicht, was vorgeht?! Von Joll bringe ich dir den Befehl Noris, dich nach C 43 zu richten. Wie steht’s damit. Los!«
Noris schrie mich an: »Befehl von Joll? – Wer hat hier zu befehlen, he? Immer dieser verdammte Joll-Joll und wieder Joll. Ich kenne ihn nicht. Er soll sich zum Teufel scheren.«
Auch die anderen waren entrüstet.
Nun, es war richtig, das Wort »Befehl« zu
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