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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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herschaute, verließ ich leise das Zimmer.
    Der nächste Magnetbahnwagen trug mich nach Utopolis.
     
20
     
    Im Turm hieß es, ich solle am nächsten Morgen wiederkommen. Noris schlafe und auch die anderen Mitglieder des Rates spannten aus. Mit Mühe gelang es mir, Tirwa aufzustöbern. Er lag auf seinem Bett und las.
    Als ich ihm die Hand schüttelte, gähnte er herzhaft. Ich wollte ihm von Joll erzählen, aber er winkte ab: »Weißt du, Karl, man hat in den letzten Tagen soviel Schauergeschichten gehört, an denen offenbar doch nichts dran ist Ich denke, wir sollten’s nun mal genug sein lassen, uns gegenseitig Gespensterchen an die Wand zu malen. Ist alles nicht so wichtig.« Und er gähnte wieder. »Ruh dich noch einen Tag von deinem Urlaub aus«, scherzte er. »Vielleicht gibt’s morgen wieder was zu tun.«
    Ich warf einen Blick auf das Buch, das neben ihm lag. »Die Liebesnächte der Königin von Navarra« stand da in spitzen, goldenen Buchstaben. Sonderbar. Ich hatte geglaubt, der ernste Tirwa lese nur Statistiken und politische Schriften.
    Auf den Dachstraßen herrschte sonntägliches Treiben. In einem Musikpavillon spielte eine Kapelle. Die Mädchen standen erregt im Kreise und lachten zu den Späßen, die der Paukenschläger machte. Er sprang auf sein Instrument wie ein Ziegenbock los und warf dabei die Schlegel in die Luft. Das sah allerdings sehr komisch aus.
    Auch ältere Genossen schauten zu und lachten über besonders groteske Verrenkungen.
    Ich ging weiter. Vor mir einige junge Mädchen, die buntseidene Schärpen über ihren Kleidern trugen. Sie waren stolz darauf, drehten sich kokett in den Hüften und fingen mit Genugtuung neidische Blicke von anderen Frauen auf.
    Ich setzte mich auf eine Bank zu vier Burschen, die lebhaft diskutierten. Vielmehr waren sie einer Meinung, wie ich gleich merkte, und überboten sich nur an Kraftausdrücken, um ihre Unzufriedenheit auszulüften.
    »Tag für Tag vier Stunden schuften müssen, das ist auch bloß eine Ausgeburt von Bonzengehirnen«, ärger te sich der eine.
    »Ich will verrecken, wenn ich das noch länger mitmache«, brauste der zweite auf. »Mein eigener Herr will ich sein und mich den Teufel um Gemeinschaftsgesetze scheren.«
    »Früher«, meinte der Dritte, »da war das ganz anders. Da schnürte man sein Bündel und wanderte durch die ganze Welt, wenn’s einem so paßte. Überall gab’s Geld in schweren Mengen zu verdienen, man brauchte bloß durch die Finger zu pfeifen.«
    »Verdammt«, schrie der Vierte und haute mit der Faust auf das Sitzbrett, »da wurde man Millionär, wenn man ’n bißchen Grütze im Kopf hatte und konnte alle anderen in den Sack stecken!«
    »Alles Quatsch«, ließ sich wieder der erste hören. »Den größten Spaß auf Erden hat der Soldat.« Er trommelte mit den Fingerknöcheln auf das Dach seiner Mütze, die er zwischen den Knien hielt und summte dazu eine rohe Landsknechtsweise.
    Mir war, als zöge man mir den Boden unter den Füßen weg. Ich hatte große Lust, auf die Jungen loszuschlagen und sie niederzubrüllen, aber ich war ganz kraftlos und brachte kein Wort aus der Kehle.
    Neben uns kreischte plötzlich eine Frau hysterisch auf. Eine Gruppe umringte die Rasende, die einige Pri vatgeldscheine in der Faust zerknitterte und dann wieder wie Propagandaflugblätter durch die Luft schwenkte. Sie heulte und tobte, weil man ihr in der Genossenschaftsbank nicht mehr als den gesetzlichen Höchstbetrag an Privatgeld ausbezahlt hatte.
    »Was nützen mir diese Fetzen, diese Lumpen, diese lausigen Heller!« Sie zerriß die Scheine, warf sie zu Boden, zertrampelte die Schnitzel und spuckte darauf. Dann fiel sie einem jungen Genossen um den Hals und plärrte laut heraus: »Ich brauche einen Pelz – ich muß einen Pelz haben – ich kann ohne Pelz nicht leben …«
    Und das mitten im Sommer.
    Die Umstehenden, die dieser ekelerregenden Szene beigewohnt hatten, waren wohl bestürzt, aber sie sympathisierten mit der Hysterischen und schienen ihre Entrüstung über die Geldverweigerung zu teilen.
    Namenlose Angst packte mich. Ich rannte in den Turm zurück und verlangte dringend Tirwa zu sprechen. – Er habe strenge Anweisung gegeben, ihn unter keinen Umständen zu stören, komme wer da wolle.
    Ich war glücklich, ein anderes Mitglied des Zentralrats, die Genossin Sindra, zu treffen, die zum radikalen Flügel gehörte und durch ihre unzerstörbare Arbeitskraft berühmt war.
    Sie ließ mich ruhig ausreden, gab mir einen zärtlichen

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