Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
in den Gelenken, als wollten sie Kot von den Schuhen abschleudern. Andere watschelten, ohne die Füße zu heben. Wiederum gab es Tänze, die das Zelt erzittern ließen. Die Menschen sprangen und stampften, warfen sich gegenseitig durch die Luft und pfiffen auf zwei Fingern dazu.
    Da gab es Buden, in denen man Wettessen veranstaltete. Kleine Würstchen, wie Perlketten aneinandergereiht, verschwanden hastig in wamsenden Mäulern. Die Rekorde maßen nach Metern. Bier aus irdenen Krügen spülte dazwischen.
    Quietschen, Pfeifen und Kindertrompeten wurden reichlich verteilt. Der Lärm drohte den Himmel zu sprengen.
    Bunte Papier-Rosetten mit Bändern, rote Plüschäffchen und lächerliche Papp-Orden zierten die Rockaufschläge der Männer.
    Frauen begehrten zigeunerhafte Ohr- und Armreifen, besteckten ihre Finger mit buntgesteinten Ringen, trugen trübfunkelnden Glasschmuck vor der Brust.
    In Karussells kreischten die Mädchen. Vor den Schießbuden drängten sich die Burschen. Man schoß nach kopfnickenden Clowns, die wir als Karikaturen der bekannten Arbeiterführer erkannten. Wenn einer den rotgemalten Herzfleck traf, fiel der Kopf Jolls oder Noris’ herab und baumelte zwischen den Füßen. Dazu erklangen Glöckchen höhnisch.
    Private, jetzt in eleganten Sommerkleidern und ohne Orden, standen dabei, riefen laut Beifall, wenn solch ein Schuß gelang, und ließen Schnaps anfahren. Sie klopften dem Meisterschützen jovial auf die Schulter und empfahlen ihm, der Brigade Wehrhart beizutreten.
    Ja, die Brigade, die war jetzt ganz auf der Höhe! Als Hauptquartier diente ihr ein gewaltiges, mit buntem Fahnentuch ausgeschlagenes Zelt.
    Vor dem Eingang standen rechts und links riesige Trommeln, auf denen Soldaten in Landsknechtstracht mörderischen Alarm schlugen. Zwischen ihnen schrie ein Mann in goldstrotzender Uniform: »Immer hereinspaziert, meine Herren! Der Eintritt ist frei! Hier erfreuen Sie sich am frisch-fröhlichen Soldatenleben! Hier lernen Sie den wahren Frontgeist kennen! Hier wird Ihnen kostenlos der Heldentod fürs Vaterland geboten!«
    »Immer rrein, meine Herrschaften!«
    »Die Verjüngung im Stahlbad oder Kameradschaft im Massengrab!«
    »Sehen Sie mich an, meine Herren, ich bin zweimal wegen Unterschlagung der Putschkasse rausgeschmissen worden und habe es doch zum Obersten gebracht. Solche Chancen bietet Ihnen nur eine erstklassige Wehrvereinigung.«
    »Darum: Hinein in die Brigade Wehrhart!« Und die Trommler hauten auf die Kalbfelle, daß uns die Ohren zu platzen drohten.
    Drinnen wurde Bier und Schnaps an langen Tischen verschenkt. Leute in Uniform setzten sich zwischen die Besucher, redeten sie mit »Kamerad« an und warben in großspurigen Worten für die Brigade.
    Während eine Musikkapelle Märsche und Schlachten-Potpourris herunterhaute, erschienen auf der Bühne lebende Bilder, von Angehörigen der Brigade gestellt.
    Da gab es das Bild »Treue Kameradschaft«. Mit durchbluteter Kopfbinde liegt ein Soldat an einem Baumstumpf. Ein Offizier kniet neben ihm und gibt ihm aus seiner Feldflasche zu trinken.
    Dann das Bild »Heldentod fürs Vaterland«. Hintergrund ein brennendes Dorf. Die linke Hand aufs Herz gepreßt, steht ein Soldat breitbeinig mit hohlem Kreuz, als wolle er rücklings umfallen. Die Rechte streckt eine zerfetzte Fahne von sich. Die Augen verdreht der arme Mann, dessen Knie vor Anstrengung zittern, gen Himmel. Da kracht ein Kanonenschuß, und bums, fällt er wirklich und endlich um. Rasender Beifall.
    Oder: »Wieder daheim!«
    An der Brust des bärtigen Kriegers weint sein treues Eheweib Freudentränen. Er umfaßt sie mit Ober- und Unterarm etwas krampfhaft, denn in der Hand hält er das blumengeschmückte Gewehr. Auf dem linken Arm sitzt sein dreijähriger Junge, der einen Papierhelm trägt. Dazu läuten Friedensglocken und krachen Böller.
    Als letztes Bild genossen wir: »Der innere Feind«.
    An der Gefängnismauer standen drei Leute in zerlumpter Genossenschaftskleidung aneinandergefesselt. Davor sechs Soldaten mit angelegtem Gewehr. Ein Offizier klatschte mit der Reitpeitsche an seine flim mernden Ledergamaschen und brüllte schneidig: »Feu er!« Die Salve rollte. Die drei Gefesselten sackten naturgetreu in sich zusammen.
    Diese Szene wurde so bejubelt, daß sie siebenmal wiederholt werden mußte. Die zum Tode Verurteilten schwitzten und streikten endlich, weil ihre Handknö chel beim Niederfallen von den Eisenfesseln angeschabt wurden.
    Hein blinzelte mich verständnisvoll

Weitere Kostenlose Bücher